Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

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Die See- und Meerkarte. 
Ist es einmal nicht richtig, in derartigen Kartengebilden nichts Wissenschaftliches 
sehen zu wollen, darf man ein andermal auch wiederum nicht in das Extrem verfallen 
und aus den Karten herausholen wollen, was ihre Verfasser nicht hineinzulegen ver 
mochten. Die Gradeinteilung auf den Generalkarten von Waghenaer, also den 
Übersichtskarten, die der Sammlung von Spezialkarten voranstehen, dürfen als 
Projektionshilfe nicht irreleiten. Die Straffheit der Einzwängung in Plattkarten 
läßt sich auch nicht für einzelne Teile der Übersichtskarten durchführen. Erst mit 
der Zeit und in der Eegel nur für beschränktere Meeresgebiete wachsen die Seekarten 
in das Plattkartennetz hinein. Bei der großen Ausdehnung des Gebietes, das eine 
Übersichtskarte umfaßt, mußte der praktische Seemann doch mit der Zeit einsehen, 
daß eine Seekarte in Plattkartenkonstruktion weder hin- noch herlangte, daß sie 
falsche Bilder ergab und der Schiffahrt nicht den gewünschten Nutzen gewährte. 
Daß man in der Mercatorprojektion ein Allheilmittel für die Seefahrt hatte, dämmerte 
langsam. Doch bevor wir darauf eingehen, müssen wir kurz des Einflusses Waghenaers 
auf die Seekarten seiner Zeit gedenken. 
Die Seekarten und Seeatlanten von Waghenaer wurden mustergültig für fast 
alle nordeuropäischen Seekarten, und Waghenaers Name hatte weithin einen guten 
Klang in Seemannskreisen; er wurde so landläufig, daß man Seekartensammlungen 
in England einfach „Waggoner“ und in Frankreich „Charettier“ nannte, ganz 
gleich, ob sie von Waghenaer selbst herstammten oder nicht. Seeatlas und Segel 
anweisung w r ar eins geworden, welche Verquickung selbst von den Portugiesen 
und Spaniern nachgeahmt wurde, wie beispielsweise im Derrotero general del Mar 
del Sur. 1 
Allmählich geht der Begriff „Seekarte“ in den über, der uns heute geläufig ist, 
obwohl noch Waghenaer die „Paßkarte“ (Paskaart) 1 2 , also das eigentliche Karten 
bild, von der „Lesekarte“ (Leeskaart) oder der Segelanweisung unterscheidet. Etwas 
später aber lesen wir schon von einer „Nieuwe gelyk gradige of Platte Zeekart 
van het noorder deel van Europa“ von Gérard van Keulen, und im 17. und 
18. Jahrhundert spricht man neben Paßkarten auch von See- oder hydrographi 
schen Karten. 3 
Als Herausgeber von Seeatlanten kennen wir W. J. Blaeu, J. Jansson 4 , 
1 Derrotero general del Mar del Sur, sacado de diferentes autores. Hecha en Panama en 30. 
del mes de Diciembre de 1684. Wichtig für die ältere Entdeckungsgeschichte der australischen Insel 
welt, bes. aber durch die kolorierte Ms.-Karte von Patagonien, dem Feuerland, der Magellan- u. Le- 
maire-Straße und eine große Karte der Salomoninseln. Dies wertvolle spanische Ms. habe ich gleich 
falls bei Karl W. Hiersemann in Leipzig eingesehen. 
2 Das niederländische „Passer“ kommt von „compassus“ — Zirkel, weil eben auf der „Paß 
karte“ mit dem Zirkel Strecken abgemessen werden, wie denn auch in den Erläuterungen und Auf 
gaben zum Neptune frangis das Messen mit dem Zirkel (le compas) eine große Rolle spielt. Daß 
aber die Kompaßmacher in Nürnberg im 15. u. 16. Jahrh. wirkliche Sonnenkompaßmacher und 
keine Zirkelschmiede waren, wie A. Breusing annahm, hat Aug. Wolkenhauer in seinen Beiträgen 
z. Gesch. der Kartographie u. Nautik des 15. bis 17. Jahrh. (Mitt. der Geogr. Ges. in München I. 
München 1905, S. 163) nachgewiesen. 
3 In dem Artikel „Nautisch-Kartographisches“ i. P. M. 1911, II, S. 155 sagt G. Pellehn: 
„Das Pergament mit den langstrahligen Rosen diente also nur zum schrittweisen Aufreißen des Weg 
bildes, zum sog. Passen, so gut man es verstand. Und so lange astronomische Ortsbestimmung auf 
See noch nicht möglich war, zwang die Not ja auch dazu.“ 
4 Joh. Janssonius: Atlantis majoris quinta pars, orbem maritimum seu omnium marium 
totius Orbis Terrarum navigationibus frequentatorum descriptionem continens. Amstelodami 1650.
	        
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