Zur Geschichte der Seekarte.
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Seestaaten verbaten sich schließlich ganz die Aufnahmearbeiten durch fremde Schiffe.
Trotz allem bleibt der Ruhm der englischen Seekarten, für die Entwicklung des See
kartenwesens im 19. Jahrhundert das meiste geleistet zu haben, unangetastet; und
das Urteil über die Seekarten Englands in Petermanns Mitteilungen vom Jahre 1867,
daß sie in bezug auf Umfang, allgemeine Vorzüglichkeit, gute Ausführung, Billigkeit,
praktische, zweckmäßige Einrichtung, fortlaufende Eintragung von Nachträgen und
Verbesserungen usw. den ersten Rang unter den Seekarten der Welt einnehmen 1 ,
unterschreiben wir vollständig für das 19. Jahrhundert. Daß Irrtümer in solch großem
Kartenwerk nicht ausgeschlossen sind, ist klar; immerhin ist es bedenklich, wenn
z. B. nach einem Londoner Bericht vom 27. Mai 1911 eine Untersuchungskommission
in Wellington auf Neuseeland festgestellt hat, daß die Königsinseln l x / 2 Meilen süd
östlich von der Stelle, an der sie bisher fälschlicherweise in die englischen Seekarten
eingezeichnet waren, liegen. Auf die unrichtigen Karten wurden viele Schiffsunfälle
in diesem Seeabschnitt zurückgeführt. 1 2
Innerhalb eines Säkulums wurde das gewaltige englische Seekartenwerk mit
rund 4000 Karten geschaffen, von dem heute noch die seefahrenden Nationen zehren.
Von diesem Kartenwerk sind etwa 8600 Karten von der englischen Admiralität und
360 Karten von englischen Privatfirmen herausgegeben worden. Das französische
Seekartenwerk, das über rund 3000 Karten verfügt, hat sich infolge des Abdrängens
Frankreichs von der Seeherrschaft und des Eindämmens der Handelsmarine nicht
zu der Herrschaft des englischen emporschwingen können. Ungemein tätig sind die
Vereinigten Staaten von Amerika in dem Vermessen ihrer Küsten; ihr Seekarten
werk hat die Anzahl des französischen erreicht. Spanien hat in seinen 900 Karten
ein gut Teil Erinnerung an alte entschwundene Pracht und Machtentfaltung. Das
mächtig aufstrebende Japan verfügt über rund 1000 eigene Seekarten, selbst Rußland
über 500. Deutschland hat gegenwärtig rund 1000 fertige Karten. Der Karten
bestand Deutschlands wird bei w r eitem nicht erreicht durch die Seekartenwerke der
Norweger, Schweden, Dänen, Holländer, Belgier, Österreicher und Italiener. Zu
den Staaten mit eigenen Seekarten gesellt sich Chile mit etwa einem halben Hundert
Karten. Vor einem reichlichen Jahrzehnt konnte ich noch schreiben, daß der geringe
Bestand der deutschen Karten auffällig sei, damals 500 Karten 3 , da wir ja als das Volk
der Geographen und Kartographen bekannt sind. Der Grund lag vor allem in der
jungen Entwicklung der deutschen Kriegsmarine. Um so staunenswerter ist die Leistung,
nach einem Jahrzehnt den Seekartenbestand um das Doppelte vermehrt zu haben.
Aber nicht bloß gute Seekarten der eigenen Küsten zu besitzen, war das Ziel
der emporstrebenden Seemächte, sondern auch ein zuverlässiges Kartenmaterial
über die hauptsächlichsten Seefahrtstraßen und -küsten des Welthandels. Über
derartige neue Seekartenwerke verfügen gegenwärtig außer England die Vereinigten
Staaten von Nordamerika 4 , Frankreich, die Niederlande, Spanien, Italien, Rußland,
1 R. Lorenz: Die kartograph. Darstellungen auf der Pariser Ausstellung 1867. P. M. 1867,
S. 362, Anm. 1, mit A. P. unterzeichnet. Also ein Urteil von Aug. Petermann selbst.
2 Vgl. u. a. auch O. Winkel: Die Unzuverlässigkeit englischer Seekarten i. geographischer
Beziehung. P. M. 1911, I, S. 202.
3 M. Eckert: Die Entwicklg. der deutsch. Seekarte, insbes. der deutsch. Admiralitätskarte.
Verh. d. XVII. Deutsch. Geographentags zu Lübeck 1909. Berlin 1910, S. 92.
4 In den Vereinigten Staaten teilen sich zwei Behörden in die Herausgabe der Seekarten,
für die Karten der einheimischen Küsten sorgt der „Coast and Geodetic Survey“ und für die fremder
Küsten das „Hydrographie Office“.