Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

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Die organische Welt im Kartenbild. 
zuweilen sogar Kitsch. Ist man für ältere Zeiten schon etwas milder in der Beurteilung, 
weil man da froh ist, etliche Anklänge an die moderne Karte zu finden, für die 
Neuzeit müssen wir darum um so strenger sein und von dem Standpunkt ausgehen, 
daß jede Karte eine Durchgangsstation zu einer höhern Entwicklung ist. Sie muß 
die Spuren dieser höhern Entwicklung in sich tragen. Haben wir mit derartigen 
Karten eine gediegene Vorarbeit geleistet, dann wird sich die Zeit erfüllen, daß uns 
ein kulturhistorischer Atlas beschert wird, von dem vor zwei Menschenaltern bereits 
J. Spörer träumte. 1 Die Herausgabe eines kulturgeographischen oder kultur 
historischen Atlas ist die große Aufgabe der Zukunft. Die intimsten Wechsel 
beziehungen und Wechselwirkungen alles Lebens auf der Erdoberfläche muß der 
Atlas in Grundzügen widerspiegeln. Das Physikalische wie das Organische, das 
Natürliche wie das Geistige muß sichtbar und handgreiflich aus dem Kartenbild 
herausspringen. Faßlich und klar müssen sich, um mit Spörer zu reden, die physi 
kalischen Erdbilder in den anthropogeographiscben reflektieren und umgekehrt. 
163. Die freie Methode. Unter der freien Methode verstehe ich die einfache, 
sich ohne Regel und Konvenienz vollziehende Lokalisierung kultureller Phänomene 
und Objekte im Situationsbild. Die geographische Seite ist ihr von Haus aus eigen, 
insofern sie die Frage nach dem Ort beantwortet, mithin die Lage bestimmt und 
festlegt. Punkt, Linie und Fläche sind die unentbehrlichen Hilfsmittel der Ver 
anschaulichung. Reichen sie nicht aus, nimmt man die Zuflucht zu Signaturen. 
Diese sind einmal altherkömmlich, andermal werden sie, je nach Materie und Zweck 
der Karte, neu geschaffen. Im großen und ganzen liegt hier die simpelste Darstellung 
einer angewandten Karte vor; einfacher kann man sie sich nicht denken, sofern 
dabei noch auf die Bezeichnung Karte Wert gelegt wird. 
Die freie Methode ist an keine Methode der Darstellung gebunden; deshalb 
ist sie „frei“. Um zu ihrem Ziele zu gelangen, ist ihr eben jedes kartographische 
Mittel erlaubt. Von tieferm Nachdenken über die Art und Weise der besten 
Versinnbildlichung des Objekts und der Erscheinung ist sie noch nicht beherrscht. 
Höchstens wird ihr vor der Fülle der Tatsachen im Kartenbilde bange, weshalb 
sie sich sodann mehr instinktiv vor einer Überfüllung hütet. Zu bestimmten 
Regeln der Verarbeitung und Darstellbarkeit dringt sie nicht vor. Man denkt un 
willkürlich an die Standortspunktmethode der biogeographischen Karte. Eine äußere 
Ähnlichkeit ist vorhanden, wenn die pflanzengeographische Karte auch mehr nach 
bestimmten Grundsätzen arbeitet, die inhaltlich wie kartographisch normiert sind. 
Die Karten nach der freien Methode sind teils solche, wie sie in freier Natur 
aufgenommen werden, also Routeriaufnahmen mit Beobachtungen über kulturelle 
Zustände, teils sind es Karten, die in der Studierstube entstehen und eine Übersicht 
über den untersuchten Stoff geben wollen. Diese haben die ordnende Hand ge 
fühlt, jene dagegen nehmen nicht selten alles plan- und wahllos auf. Damit sei gegen 
über den vielseitigen Routenaufnahmen kein Vorwurf erhoben, im Gegenteil, viele 
von ihnen sind gerade das Zeugnis eines guten Beobachters. In der Kartengruppe 
der Kult Uranfänge kommen wir auf diese Karten zurück. Faßt man sie als Prole- 
goinena zu weiterhin zu schaffenden, zu wirklichen Kulturkarten auf, erhalten sie 
ihren eigentlichen Wert. Die Karten, die das Ergebnis von wissenschaftlichen Unter 
1 M. Eckert: Die Karten Wissenschaft, I, S. 47 u. Anm. 3.
	        
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