Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

Allgemeines und Grundsätzliches. 
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mit einer auffälligen Kompaßrose ausgestattet. 1 Neben Rom erfreut sich Jerusalem 
einer liebevollen Ausmalung als Mittelpunkt der Erdscheibe, „als eine Konzession 
an die rechtgläubige Weltanschauung des christlichen Mittelalters“ 2 ; so auf der Welt 
karte in der Kathedrale zu Hereford aus dem 13. Jahrhundert oder auf der Welt 
karte des Marino Sanudo (oder Petrus Vesconte) um 1320. Eine Überfülle von 
Kulturdaten bringt der Atlas Catalan vom Jahre 1375. Neben Königen und Fürsten 
(sitzend, stehend und reitend) sehen wir Kamel-, Elefantenreiter, Kampfstellungen, 
Reiterschlachten usw. Die zahlreichen Standarten und Fähnchen an den einzelnen 
Ortszeichen deuten auf die politische Angehörigkeit. Fast an ähnlicher Fülle von 
Kulturdaten leiden die Karten von Diego Ribero, 1529, Pierre Descelhers, 1546, 
Domingo Olives, 1568, u. a. m. 
Mercator, der sachliche und zielbewußte Kartograph, hatte die Kulturelemente 
auf seinen Karten wieder eingedämmt. Das war Sache der Beschreibung, der eigent 
lichen Kosmograplien. Ihm war das mathematisch bestimmte und reine Kartenbild 
das Ideal einer Karte. Daß man die kulturellen Erscheinungen auf einer Karte für 
sich darstellen kann, auf diesen Gedanken war er nicht gekommen. Der lag seiner Zeit 
fern, was sich auch in den zahlreichen Ptolemäuskarten offenbarte. Vielleicht haben 
diese bereits einen Einfluß auf Mercator ausgeübt ? Auf den Landesaufnahmen, 
die im 16. Jahrhundert in größerm Stile einsetzten, gönnte man dem kulturellen 
Element, d. h. der Viehzucht, den Wäldern und auffälligsten Pflanzenkulturen, 
einen entsprechenden Raum. Apians Landtafeln sind das klassische Beispiel für 
jene Zeit. Die Angaben über die Landwirtschaft, die sich bald nur auf Acker- und 
Gartenbau beschränkten und späterhin durch die der Forstwirtschaft bereichert 
wurden, sind die hauptsächlichsten Kulturelemente, die seitdem die Karten der 
Landesaufnahme nicht mehr verlassen haben. 
Die Kultur karte, die mit der Absicht gezeichnet ist. bloß kulturelle Erscheinungen 
zu veranschaulichen, wurzelt im 18. Jahrhundert, vorausgesetzt, daß wir auf die 
Heranziehung spezieller Manuskriptkarten verzichten, wie z. B. auf Bergrevierkarten, 
die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Mit den alten selbständigen Kulturkarten 
haben wir uns noch besonders zu beschäftigen, was in unsern Untersuchungen später 
ausführlich genug geschehen wird. Die Voraussetzung einer raschen Entwicklung 
der Kulturkarte wurde erst im 19. Jahrhundert geschaffen, nachdem die Chromo 
lithographie erfunden worden war. Erst mit Hilfe der Farbe war es der Kultur 
karte möglich, den reichen Verästelungen der Kulturgeographie zu dienen. Wo sie 
als Schwarzweißkarte erscheint,' ist es doch nur eine Verlegenheitsbildung, um die 
Druckkosten usw. zu sparen. 
Gab der Steindruck von materiell-technischer Seite aus den Anstoß zu einer 
kräftigen Entwicklung der Kulturkarte, so von wissenschaftlicher Seite aus die 
Antbropogeographie. Diese und benachbarte Disziplinen der Geographie haben die 
Kulturkarte wesentlich beeinflußt und gefördert. Friedrich Ratzel, der große 
Meister der Anthropogeographie, hat den Grund und Boden geschaffen, auf dem 
der weitverzweigte Baum der anthropogeographisch bedingten Karte wächst. Er 
selbst hat uns wenig Kartographisches geboten, was im Interesse der anthropogeo- 
graphischen Wissenschaft heute noch schmerzlich empfunden wird. Hätte er einen 
1 In Originalfarben reproduziert im Periplus von E. v. Nordenskiöld. Stockholm. 1897, 
T. XXV. 
2 O. Pescheis Geschichte der Erdkunde. 2. Aufl. von S. Rüge. München 1877, S. 211.
	        
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