Völkerkarten.
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trennen, würde zu keiner ersprießlichen Übersicht für uns führen, obgleich wir zu
nächst solche Karten betrachten, die von der Ethnographie befruchtet, und späterhin
mehr die, die von der Ethnologie wesentlich beeinflußt sind.
Unter den allgemeinen Völkerkarten scheinen die Rassen karten ethno
graphische und ethnologische Probleme am frühesten aufgerollt und veranschaulicht
zu haben. Bei der Vielseitigkeit und Unbestimmtheit des Begriffes Rasse ist es
nicht erstaunlich, wenn das Kartenbild der Menschenrassen ebenso ein vielseitiges
Gepräge trägt, und daß man von einheitlichen und bindenden Prinzipien in der
Kartendarstellung noch nichts merkt. Wie die Rassenverteilung teils nach künst
lichem, teils nach natürlichem und zugleich nach geographischem Gesichtspunkt
erfolgt, davon geben uns die verschiedenen Kartenbilder Kunde, die aber erst in
den letzten Dezennien in reichlicher Anzahl, vordem jedoch sehr spärlich auftreten.
Die verschiedene Auffassung des Begriffs „Rasse“ läßt auf Schwierigkeiten schließen,
die auch das Rassenbild in Mitleidenschaft ziehen. Indessen' müssen wir nur unter
Vorbehalt der Ansicht von H. Schurtz beipflichten, nach der jede Einteilung in
Rassen als etwas Gemachtes und Künstliches anzusehen ist. 1 Dann könnte ja auch
auf die Karte verzichtet werden. Es kommt eben darauf an, was man unter Rasse
versteht, und wie weit es einer fortschreitenden Wissenschaft möglich ist, den
richtigen kartographischen Ausdruck dafür zu finden. Neuerdings hat auch dieser
Begriff größere Sicherheit gewonnen, nachdem durch verschiedene Autoren rassische
und verwandte Betrachtungen und Untersuchungen angeregt, ja selbst in das große
Publikum hineingetragen worden sind, wie durch Gobineau, H. St. Chamberlain,
Woltmann u. a. m., jüngst erst durch H. Günther. Die Definition, die letzterer
von der Rasse gibt, möchte ich mir zu eigen machen; er versteht darunter eine aus
Artgleichen bestehende Menschengruppe, die immer wieder ihresgleichen erzeugt.
Unter einer aus Artgleichen bestehenden Menschengruppe wird verstanden „eine
Menschengruppe, die sich durch die ihr eignende Vereinigung körperlicher Merk
male von jeder andern Menschengruppe unterscheidet.“ 2 Nach ihm hegt der Begriff
Rasse in einer körperbeschreibenden Betrachtung begründet und wird ein rein
naturwissenschaftlicher wie andre Einteilungsbegriffe, z. B. Familje, Gattung, Art.
Günther ist offenbar durch J. Deniker angeregt worden, bei dem wir auch zum
ersten Male von Nordischer und Dinarischer Rasse lesen; auf Europakarten in
1 :1000000 sehen wir sechs Hauptrassen und vier Nebenrassen. 3 Für seine eigenen
Ausführungen ist uns Günther noch die entsprechende Karte schuldig.
Je nachdem auf die allgemeine geographische Verbreitung oder auf die Sprache
oder auf anthropologische Merkmale, wie Hautfarbe, Haarwuchs und Schädelbildung
geachtet wird, hat man verschiedene Rassenkarten konstruiert. Durch die örtliche
Bestimmung wurde ihnen allen ein geographischer Anstrich gegeben. Die rein
geographische Einteilung war im großen und ganzen roh und hat wenig die ethno
graphische und die spezifisch kartographische Darstellung gefördert, wie wir es an
Linnés Einteilung sehen, nach der außer dem Homo Europaeus, Asiaticus, Afer,
Americanus noch einige Untergruppen für mehr kuriose Völkererscheinungen unter-
•
1 H. Schurtz: Katechismus der Völkerkunde. Leipzig 1893, S. 122.
2 H. Günther: Rassenkunde des Deutschen Volkes. München 1920, S. 13.
3 J. Deniker: Les races de l’Europe. I. L’indice céphalique. Compte rendu, Ass. fr. pour
l’avanc. des sciences. 27e session. 1898. Mit K. — Les races de l’Europe. II. La taille. Mém.
soc. d’anth. 1899. Mit K. Die Karten beider Arbeiten in 1:1000000.