Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

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Die organische Welt im Kartenbild. 
trachten, die bisher über den Erdball geflutet ist. 1 Im alten Berghaus half man 
sich so, daß man die Yölkerkarten der Erdteile mit Nebenkarten versah, auf denen 
das Vordringen der Europäer besonders dargestellt wurde. Wie wir wissen, eliminiert 
man gern auf Völker-, insbesondere Kassenkarten die europäische Einwanderung 
(s. S. 440). Gerland hat uns noch andere treffliche Karten zum Vergleich beschert. 
Das Europa um 100 bis 150 nach dir. Geburt reizt unwillkürlich zu einem Vergleich 
mit dem Europa um 1880. 2 Nebenkarten bringen gleichzeitig asiatische und afrika 
nische Verhältnisse zur Darstellung. Die Karten von Amerika bilden die Vergleichs 
basis zu den Karten der Wohnsitze der amerikanischen Urbevölkerung in den Zeiten 
der Entdeckung. 1 2 3 Alle diese Karten reden eine deutlichere und eindringlichere 
Sprache als die weitläufigsten Kompendien über den gleichen Gegenstand. Des 
Vergleiches soll gerade hier in der Kartographie kein Ende sein. So gut z. B. die 
ethnographische Skizze der Kordillere von Bogotá zur Zeit der spanischen Eroberung 
von A. Hettner ist 4 , an Wert würde sie gewonnen haben, wenn eine andre Karte 
mit den neuern Verhältnissen ihr gegenüber gestellt worden wäre. P. Ehrenreich 
hat auf seiner ethnographischen Karte von Brasilien einen einigermaßen passablen 
Ausweg gefunden. 5 Neben dem gegenwärtigen Sitz der wichtigsten Stämme, womit 
in der Hauptsache das Kartenbild ausgefüllt wird, werden die ausgestorbenen und 
im Erlöschen begriffenen Völker berücksichtigt, soweit dies für die Veranschaulichung 
der Völkerzüge und des Zusammenhangs gegenwärtig zerstreut erscheinender Glieder 
einer großem Familie nötig ist. Solche spärliche oder seit kurzem verschwundene 
Horden sind durch Signatur mit gebrochenem Strich bzw. Punktierung kenntlich 
gemacht. Über die Verbreitung des gegenwärtigen Slawentums orientieren Schrift 
und Karte von T. D. Florinskij. 6 Die große ethnographische Karte umfaßt das 
ganze östliche Europa von der Nordsee an, sowie Russisch-Asien bis zum Großen 
Ozean. Sie ist nach der Karte von Mendelejew angefertigt worden, die dieser seinem 
Werke Zur Kenntnis Rußlands beigefügt hat. 7 Die zweite kleinere Karte Florinskijs 
stellt die Verbreitung der Slawen in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Ost- 
und Mitteleuropa dar. wodurch der Wert der großem Karten außerordentlich ge 
steigert wird. 
Die sorgfältige geschichtliche und prähistorische Forschung wird noch vieles 
zur richtigen Erkenntnis über ältere Verschiebungen von Volksstämmen beitragen 
und irrtümliche Ansichten aus dem Weg räumen. Wir nehmen wahr, daß nicht 
immer Völkerwanderungen das ethnographische Bild verändert haben, daß es auch 
Ruhepunkte in der Völkerbewegung gibt, indem der zugewanderte Volksteil sich 
mit dem alten seßhaften allmählich assimiliert, ja ihn unter Umständen fast spurlos 
aufschluckt, ohne daß gewaltsame Vertreibungen vorgekommen sind. Mit diesen 
Wahrnehmungen brauchen wir gar nicht weit zu gehen. Der deutsche Boden selbst 
1 Vgl. M. Eckert: Wirtschaftsgeographie, ln L. v. Wiese: Wirtschaft u. Recht der Gegen 
wart. Tübingen 1912, S. 454. 
2 G. Gerland. a. a. O.. T. VII u. XV. 
3 G. Gerland, a. a. O., T. XII u. XIII. 
4 A. Hettner i. P. M., Ergh. 104, 1892, S. 89. 
5 P. Ehrenreich i. P. M. 1891. T. 6. 
6 T. D. Florinskij: 81avjanskoje plemja. Statistiko-etnograficeskij obzor sovremennago 
slavjanstva. (Der slawische Volksstamm. Statistisch-ethnograph. Übersicht des gegenwärtigen 
Slawentums. Mit 2 ethnogr. K.) Kiew 1907. 
7 Mendelejew: Zur Kenntnis Rußlands (russisch). 4. Aufl. Petersburg 1906.
	        
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