Völkerkartell.
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gibt reiche Gelegenheit zur Forschung. I)a die Gerrnanisierung der Slawen und die
Einwanderung deutscher Kolonien im Mittelalter eine geschichtlich feststehende
Tatsache ist, wurde es klar, daß wir östlich der Elbe heute eine deutsch-slawische
Mischbevölkerung vor uns haben. Freilich, in welchem Grade diese deutsch oder
slawisch war und ob nicht gar noch rein slawische Reste nur mit deutscher Sprache
fortbestanden, darüber war man sich nicht völlig klar. In vorzüglicher Weise hat
Hans Witte diese Frage zunächst für Mecklenburg gelöst 1 , und es ist zu wünschen,
daß seine Arbeit auch für die übrigen ostelbischen Lande Nachahmung fände. Er
zieht dabei alles in Betracht, was zur Aufklärung dienen kann, wie Orts- und
Personennamen, Rundlingbauten, Art der Ansiedlung, slawische Hakenhufen usw.,
die auch früher schon Beachtung fanden, geht dann aber, zur besondern Stütze für
die Beantwortung, in äußerst sorgfältiger Weise auf die Urkunden zurück. Da finden
wir in einer Zeit, wo schon die Gerrnanisierung für beinahe abgeschlossen galt, noch
zahlreiche Orte mit durchaus slawischer Bevölkerung, später solche mit gemischter,
deutschwendischer Einwohnerschaft, wie dieses graphisch auf der aus dem Jahre 1794
stammenden Schmettausehen Karte durch Farbensignaturen anschaulich dargestellt
ist. Es zeigt sich, daß von einer rein deutschen Abstammung der Mecklenburger
nicht die Rede sein kann, ja daß nicht einmal engbegrenzte Teile des Landes
hierauf Anspruch erheben können. Richtig ist, daß es sich um eine Mischung
beider, anthropologisch und sprachlich verwandter Völker handelt, bei denen hier
Deutsche, dort Slawen den Hauptteil bilden, wie sich das auch auf der Karte
von Witte erkennen läßt. Im SA' des Landes zeigt sich sogar ein durchaus vor
herrschend slawisches Gebiet, das wohl im Zusammenhang mit dem hannoverschen
Wendlande stand.
Ist es schon nicht leicht, auf heimischer Erde zur Klarheit über die ethnische
und anthropologische Zusammensetzung des Volkes zu gelangen, wieviel mehr er
höhen sich die Schwierigkeiten, in Feindgebieten derartigen Forschungen nach
zugehen. Das wissen wir z. B. aus den Arbeiten von Th. Kluge, der die historische
Entwicklung der Bevölkerungsverhältnisse in Russisch-Armenien und den an
grenzenden Ländern sowohl auf mehreren Reisen wie auch literarisch studiert hat.
Durch Schrift und Karte sucht er Klarheit zu schaffen in der Toponomie eines
Gebietes, das für die Völkerbewegung in Vorderasien von großer Wichtigkeit ist:
nämlich die Grenze der Siedlungstätigkeit zwischen Indogermanen und Kaukasiern zu
finden, — auch für die Zeiten, wo die historischen Quellen im einzelnen versagen —,
oder vielmehr den Verlauf dieser Bewegung zu beschreiben. Die Arbeit kann auf
absolute Genauigkeit im geographischen Sinne nur bedingt Anspruch erheben. Die
großmaßstabige Karte 1 2 zeugt von viel Sorgfalt und Fleiß. Sie bringt in Flächen
kolorit die indogermanischen, uralo-altäischen, nordkaukasischen Stämme, die Semiten
und Urartäer (Chalder). Der Anteil der Völkerschaften an der Einwohnerzahl ge
mischter Orte ist in Segmenten einer Kreisfläche dargestellt. Verschiedene Grenz
linien teils politischer, teils siedlungstechnischer und völkischer Natur überziehen
das Kartenblatt, wovon auf ältere Zustände die wahrscheinliche Grenze des 1 rartäer-
1 H. Witte: Wendische Bevölkerungsreste in Mecklenburg. Forsch, z. deutsch. L.- u. Yolksk.
XY T 1. Stuttgart 1905, Heft 1. Dazu Karte: Wendische Bevölkerungsreste in Mecklenburg. Nach
den Schmettauschen Originalplatten gedruckt.
2 Th. Kluge: Verteilung der Bevölkerung im Gouvernement Kars (Armenien). 1 : 210000.
P. M. 1922, T. 10.