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Die organische Welt im Kartenbild.
reiches hinweist. — Selbst die kleinsten kartographischen Beiträge, mögen sie auch
allgemeiner Art sein, heißen wir willkommen; so z. B. K. Hasserts Karte 1 , auf der
mit rotem Kolorit die frühere, mit grünem die heutige Menschheitsgrenze bezeichnet
wird. Ein solches Bild zeigt klar, wie die Grenze der Ökumene vor dem Pol zurück
gewichen ist. Wie wir hier einen Rückgang konstatieren, müssen wir ihn noch mehr
in bezug auf ethnographische Eigentümlichkeiten insbesondere der auf niedriger
Kultur stehenden Völker. Darum wird es nachgerade Zeit, durch Sammlung, Be
schreibung und Karte zu retten was zu retten ist. Je mehr die Völker ethnographisch
verarmen, um so mehr wird die Ethnographie eine archäologische Wissenschaft.
172. Permanente Wohnsitze und Wohnungstypen. Neben den Völkerrassen
und Völkerstämmen hat seit Jahren die Art und Weise interessiert, wie die Menschen
über den Erdball verbreitet sind. Darum wird es verständlich, daß die Rassekarten
allmählich die Volksdichte- und verwandte Karten nach sich ziehen mußten. So
sehen wir denn, daß selbst Atlanten der Völkerkunde die Völkerdichtekarten nicht
verschmähen, die wohl zur ethnologischen Vertiefung beitragen, jedoch ihrem
Wesen nach mehr ins geographische bzw. kulturgeographische Gebiet als ins ethno
graphische gehören. Die Völkerkarte hat einen persönlichen Ton, insofern das
Anthropologische stark in den Vordergrund rückt, die Bevölkerungskarte hingegen,
die Volksdichte-, Wohnplatzkarte usw. ist, hat etwas Unpersönliches. Jene ist
mehr konkret, diese mehr abstrakt und unterliegt Methoden und Untersuchungen,
die unterschiedlich zu denen der Völkerkarten sind. Das große Gebiet der Bevölkerungs
karte mit seinen Ausstrahlungen haben wir im zweiten Hauptteil unserer Unter
suchungen genügend kennen gelernt, daß wir uns weiterer Bemerkungen über es
ersparen können. Eine persönliche Note erhält aber sofort die Wohnplatzkarte,
wenn sie auf die Eigenart der Wohnungen, die Wohnungstypen achtet.
Reden wir von den permanenten Wohnsitzen oder selbst von der Ökumene,
werden Streiflichter von der Volksdichte bewußt und unbewußt zu uns herüber
geworfen, die wir wohl gern auffangen, die uns aber nicht in der Methode der Unter
suchung hier stören dürfen. Ob wir nun die Volksdichte oder die Wohnsitze be
trachten, eins ist klar, daß für die Verbreitung beider in der Hauptsache, wenn nicht
ausschließlich geographische Bedingungen in Frage kommen, die wir auch heute
kaum besser eruieren können als wie es E. Böhm vor einem halben Jahrhundert —
allerdings etwas langatmig — getan hat. ,,Da die Neigung der Erdachse vor
herrschend die Verteilung der Erde bestimmt, da die Abgrenzung von Land und
AYasser teils die Wärme Verteilung modifiziert, teils den Verkehr des Menschen
fördert oder hemmt, da die Erhöhung und Senkung der Bodenfläche auf das Herab
fallen des AYassers aus der Luft einen mächtigen Einfluß ausübt, den Rückfluß des
gefallenen Wassers in das Meer leitet und dadurch die natürlichen Wege des Verkehrs
auf dem Festlande vorzeichnet, so wie die Bergzüge die Völker abgrenzen und
scheiden, da das Verhältnis von Wärme und Wasser (überhaupt das Klima) die
Produktionsfähigkeit des Bodens bestimmt und teils an sich, teils durch die Art
dieser Produktionsfähigkeit auf die Lebensart und andern Eigentümlichkeiten der
Völker wirkt, da selbst einzelnen Naturprodukten bedeutender Einfluß zugeschrieben
werden muß, diese Naturprodukte aber wieder von den gesamten physischen Ver
1 K. Hassert i. P. M. 1891, T. 11.