Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

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Die organische Welt im Kartenbild. 
„So wirkt es heute geradezu tragikomisch, wenn auf gewissen, aus der Schule von 
Friedrich Müller hervorgegangenen farbigen Karten die Verbreitungsgebiete z. B. 
der türkischen und der arabischen Sprache als die der ,Türkei 1 und der ,Araber 1 
angelegt sind. Die bloße Bücherweisheit kommt hier schmählich zu Fall, und erst 
ein vieljähriges und sorgfältiges Studium im Lande selbst lehrt, wie wenig sich da 
Volk und Sprache decken.“ Ausgeschlossen ist nicht, daß sich verschiedene Teile 
einer Sprachkarte mit der Völker karte decken können. Im großen und ganzen ist 
die Sprachkarte umfassender. Sie muß richtig interpretiert werden, da sie über 
ethnische Zusammenhänge täuschen kann. Mit den Englisch-Sprechenden werden 
z. B. die Neger der Vereinigten Staaten von Amerika umfaßt, obwohl sie mit dem 
Engländer weder völkisch noch anthropologisch verwandt sind. Der Unterschied 
zwischen Völkerkarte und Sprachkarte wird mit einem Schlage klar, wenn man die 
Karte der Völkersitze um 1880 mit der Karte der Sprachen der Erde bis um 1890 
in G. Gerlands Atlas der Völkerkunde vergleicht. Man wird das bestätigt finden, 
was ich oben ausgeführt habe. In Zukunft sollte man im Hinblick auf diese Leistung 
beide Kartenarten nicht mehr verwechseln, wie es leider noch immer geschieht. 
Die Völkerkarte hat sich auf eine ganze Beilie anthropologischer, somatischer 
Merkmale aufzubauen, die Sprachkarte lediglich auf linguistische. Dagegen ist die 
kartographische Methodik für beide im allgemeinen dieselbe. Während gemäß dem 
Stande der wissenschaftlichen Forschung die ethnographische Karte selten ins Einzelne 
geht, ist das Einzelne für die Sprachkarte gerade von schwerwiegendster Bedeutung. 
Sie leistet offenbar im Detail mehr als in der Übersicht, wo sie sich mehr der Völker,- 
karte angleicht. Leichter ist es, die Idiome voneinander zu scheiden als die rassischen 
Merkmale. Damit wird aber auch eine leichtere Kartierung gefördert. Die Sprach 
karte gewinnt sichtlich an geographischer Wärme und Bedeutung. Dann ist es auch 
nichts Absonderliches, daß ihre Konstruktion hauptsächlich dem Geographen zu 
danken ist, weniger dem Ethnologen. In weiterer Folge wird verständlich, warum in 
den Anleitungen zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen der Linguistik 
ein breiter Raum gewährt wird. 1 Gewiß ist, daß, soweit es sich um die kartographische 
Fixierung der Sprachen und Hauptdialekte handelt, wir ein anthropo- oder kultur 
geographisches Problem vor uns haben, das zu lösen zur eigensten Domäne des 
Geographen gehört, weshalb ich auch von der geographischen Sprachkarte im 
Unterschiede zur philologischen (S. 478) spreche. 
Zur Geschichte der Sprachkarten ist nicht allzuviel zu berichten. E. I). Ha über 
hatte mit seinen Religionskarten für J. B. Homann zugleich eine Sprachkarte 
Deutschlands gezeichnet. Wir hören ferner von einer Sprachkarte aus der Mitte 
des 18. Jahrhunderts, die L. ten Katen (Hust.) gezeichnet hat, und die seiner Anleidinge 
tot de Kennisse van net verhevene beel de nederduitsche Sprache etc. beigefügt ist. 1 2 
Die Karte ist auch einzeln erschienen. Es wird darauf in Farben gezeigt, „wie die 
\ ölker und Sprachen durch drei Hauptstämme durch ganz Europa voneinander unter 
schieden, die übrigen aber miteinander vereinigt worden sind“. Eine ältere Sprach- 
1 Vgl. C. Meinhof: Linguistik. In G. v. Neuinayers Anleitung zu wissensch. Beobachtungen 
auf Reisen. 3. Aufl. II. Hannover 1906, S. 438—488. — D. Kaltenbrunner: Der Beobachter. 
Zürich 1882. Sprachen u. Dialekte, S. 576—613. — Ludwig Wolff: Der Missionar als Forscher. 
Aachen 1920. Linguistik. S. 132 — 143. 
2 Die Karte selbst ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen; ich fand sie zitiert in J. G. Krünitz: 
Ökonomisch-technolog. Encyklopädie. 60. Teil. Berlin 1793. S. 150.
	        
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