Sprachkarten.
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offenbaren mußte. Die Sprachkarte, die uns geographische und verwandte Forschungs
reisende mitbringen, sind nach bestimmten Methoden der Sprachforschung auf
genommen worden. Außer zur Sprachklärung tragen sie zur Völkerklärung bei. Der
Natur ihrer Aufnahme entsprechend haben sie in der Hauptsache den Wert einer
Übersichtskarte. Der verhältnismäßig große Maßstab der Karten darf uns nicht
irre machen, wie z. B. bei den Karten von Dirr in 1:420000. Wohl tritt die Methode
auch in Kulturländern in Aktion, aber mit einer Feinheit und Kompliziertheit, die
sodann zu sprachlichen Sonderkarten, der philologischen Sprachkarte, führen. Bei
ihr wird der Geograph sozusagen ausgeschaltet und durch den Philologen ersetzt.
Der Weg der statistischen Erhebungen konnte bisher nur bei hochentwickelten Kultur
völkern beschritten werden und da auch erst seit dem ersten Jahrzehnt des neuen
Jahrhunderts. Vor 1900 war es bloß in Österreich-Ungarn, nicht einmal in preußischen
Orten möglich, genaue Sprachkarten auf statistischer Grundlage zu zeichnen. 1
Die Statistik vermag nicht immer das richtige Bild zu geben. Ganz abgesehen
davon, daß sie zur Anfertigung von Trugbildern dienen kann (vgl. S. 145, 146), wie
wir es beispielsweise in der Nationalitätenkarte der östlichen Provinzen des Deutschen
Reichs von J. Spett 1 2 vorfinden, worauf zugunsten einer polnischen Mehrheit mit
Hilfe der Statistik gemogelt worden und dadurch nach H. Heyde eine Fälschung
schlimmster Art 3 und nach W. Volz eine raffinierte Urkundenfälschung 4 entstanden
ist, liegt es zuletzt im Wesen der Statistik, daß sie außerstande ist, die sprachlichen
Verhältnisse vollkommen klar zu stellen. Das vollkommenste, soweit man hier super
lativisch reden darf, entsteht immer dann, wenn sich die Verfasser von Sprachkarten
nicht allein auf das offizielle Material verlassen, sondern keine Mühe scheuen und
schwierige Stellen der Vermengung von Sprachen selbst abwandern oder von zu
verlässigen sachkundigen Bewohnern der Gegenden sich darüber Bericht erstatten
lassen. Auf diese Weise sind z. B. die Karten über das Sprachgebiet Nordböhmens
von J. Zemmrich entstanden. 5 Fast zu gleicher Zeit zeichnete M. C. Menghius
die Karte der Sprachen und Dialekte von Graubünden und Tessin. 6 Das Verständnis
dieser Sprachkarte konnte nur aus dem physikalischen Bilde herauswachsen, darum
legte Menghius ein Blatt aus G. Mayrs Atlas der Alpenländer zugrunde. Trotz des
dunkeln Untergrundes läßt sich die Verbreitung der Dialekte gut verfolgen; nur
die Ortschaften lassen sich schwer lesen.
1 Für Mähren, Schlesien u. d. östl. u. südöstl. Böhmen hat Franz Held nach den Sprachen
zählungen von 1880 u. 1800 Sprachkarten in 1 : 300000 entworfen, ln den Schriften der hist.-stat.
Sektion der k. k. mähr.-schles. Ges. zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- u. Landeskunde.
Brünn 1888 u. 1890.
2 J. Spett: Nationalitätenk. der östl. Provinzen des Deutschen Reichs. Diese K. ist im Auf
träge des Wiener Polenklubs 1918 vom Wiener Verlag Moritz Perles herausgegeben, bei J. Perthes
in privater Bestellung gedruckt und in Deutschland überhaupt nicht im Handel erschienen. Ein
Hauptdokument für die Entente, insbes. Frankreich und Polen.
3 H. Heyde i. d. Z. der Ges. f. Erdk. 1919, S. 185 (nicht S. 154, wie bei A. Penck, a. a. O.,
S. 178, zitiert ist).
4 W. Volz: Besiedelungskarte von 0berschlesien. Veröffentl. d'. Schles. Ges. f. Erdk. Breslau
1922. S.-A. S. 3, Anm. 1.
5 ,1. Zemmrich: Sprachgrenze u. Deutschtum in Böhmen. Mit 5 K. Braunschweig 1902.
Den Kern dieses kleinen, aber gehaltvollen Buches bilden die von Zemmrich i. d. Geogr. Z. und im
Globus während des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Aufsätze über das
deutsche und tschechische Sprachgebiet in Böhmen.
6 M. C. Menghius i. P. M. 1898, T. 7.
Kckert, Kartenwissenschaft. ]f.
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