Sprachkarten.
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suchungen über die Verbreitung einzelner Sprachen nachgehen, wie wir auf der Karte
von L. Bückmann über die germanische Besiedlung Westbelgiens und Nordfrankreichs
sehen. 1 Darauf ist das heutige germanische Sprachgebiet scharf umgrenzt, sodann das
verlorene germanische Sprachgebiet seit 1200 und ein verloren gegangenes Misch
gebiet seit 600. Auf der Karte des Sprachgebietes der Lausitzer Wenden hat Richard
Andree die Sprachgrenzen von 1550, 1750 und 1872 fixiert. 2 Eine interessante Karte
historisch-sprachlicher Natur ist die Dialektkarte von Deutschland um das Jahr 1300,
auf Grund der alten Sprachdenkmäler entworfen von P. Piper 3 , worauf die ober-,
mittel- und niederdeutschen Dialekte veranschaulicht werden. Erscheint die Sprach
grenze auf der Karte eines Sondergebietes mit großer Genauigkeit gezogen, ist es
unumgängig notwendig, ausführliche Tabellen beizufügen, die die wünschenswerte
Aufklärung geben, wie es beispielsweise durch K. Brämer befolgt wurde. 4
In Wirklichkeit gibt es nirgends eine Grenze, sondern nur einen Grenzraum,
der je nach dem Ausschlag der Vibrationen schmal oder breit ist. Schmal ist der Grenz
raum zwischen Vlamen und Wallonen usw., breit im 0 Deutschlands. Beide Phasen
des Grenzraumes sind das Produkt geschichtlicher Entwicklung. Wird diese durch
Perioden friedlicher Durchdringung charakterisiert, wird der Grenzraum, falls es die
orographischen Verhältnisse des Landes gestatten, ein breiter. Wo Völker zusammen
prallen, wird der Saum verengt, wie wir das zwischen Deutschen und Eranzosen in
Elsaß-Lothringen wahrnehmen. Beherrschte früher die politische Staatengrenze das
Kartenbild Europas in dem Maße, daß die Völker- und Sprachscheiden ihr gegenüber
ganz zurückzutreten schienen, ist heute ein vollständiger Umschwung dieses Ver
hältnisses eingetreten; soll doch jetzt nach dem Willen der vereinigten Weltmächte,
denen die Übermacht in dem ungleichen Ringen des letzten Weltkrieges zum Siege
verhalf, das Selbstbestimmungsrecht der Völker maßgebend für die Abgrenzung der
Staatsgebiete werden. Die neuen Grenzen sind mit Gewalt geschaffen worden, ohne
kulturellen und wirtschaftlichen Tatsachen Rechnung zu tragen. Sie sind wohl von
der Sprachverteilung etwas dirigiert, aber es ist klar, „daß die Sprache nicht allein
über staatliche Zugehörigkeit zu entscheiden vermag“. Wer nur einigermaßen geschicht
lich denken kann, wird den ephemeren Wert dieser Grenzen erkennen. Daß die Sprach
grenze mit der politischen zusammenfällt, wie' zwischen Holland und Deutschland,
ist nicht durch die Politik begründet, sondern durch die großen Moorlandschaften,
die sich längs der Staatsgrenzen hinziehen. Wo die Entmoorung stattgehabt hat,
bemerken wir, daß die Sprachgrenze an dem politischen Grenzpfahl nicht Halt macht,
sondern sich auflockert, besonders da, wo sich wirtschaftliche*Einflüsse geltend machen.
In der Gegend von Aachen wird infolge der starken wirtschaftlichen (bergbaulichen)
Wechselwirkung zwischen Holland und Deutschland die Sprachgrenze zugunsten
des Deutschen nach Holland vorgeschoben. Wie die dänisch-deutsche Sprachgrenze
labil ist, wissen wir aus den Forschungen von P. Langhans. 5 — Wenn ich hier und
1 L. Bückmann: Die german. Besiedlung Westbelgiens u. Nordfrankreichs bis zum 50. Breiten
grad. 1 : 500000. P. M. 1918, T. 7.
2 R. Andree i. P. M. 1873. T. 17.
3 Die Karte selbst wurde von E. Piper gezeichnet. Z. f. wiss. Geogr. I, 1880, T. IV.
4 K. Brämer: Nationalität u. Sprache im Königreich Belgien. Mit 1 K. Forsch, z. deutschen
Landes- u. Volksk. II. Stuttgart 1887. 2. Heft.
5 P. Langhans i. P. M. 1890. S. 247ff. — Vgl. auch P. M. 1899. T. 4; sodann die Karte der
Abstimmungsergebnisse in Nordschleswig zur Festlegung der neuen deutsch-dänischen Grenze. P. M.
1920, T. 23.