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Die organische Welt im Kartenbild.
Erfreulich war es, wenn die Sprachgeographie sich noch mehr der Geographie
und ihren Methoden angleichen würde. So könnten mancherlei geographische Aus
drücke übernommen werden, die mit sprachgeographischem Inhalt anzufüllen wären.
Einen guten Fingerzeig hat bereits P. Langhans gegeben, als er den „deutschen
Sprachboden“ Siebenbürgens in methodischer Beziehung untersuchte und darstellte. 1
Er spricht von „Sprachinsel“, wo sich Deutsche in unbedingter Mehrheit (mehr als
alle andern Volksstämme zusammen) vorfinden, von „Sprachvorland“, wo Deutsche
in verhältnismäßiger Mehrheit (mehr als ein anderer Volksstamm allein, 30—50°/ 0 )
angetroffen werden, von „Sprachwatt“, wo die Deutschen in Minderheit (10—30°/ 0 )
sind, von „Sprachklippe“, wo Deutsche zerstreut, aber mit deutschen Schulen leben,
und von „Sprachriff“, wo sich Deutsche in der Vereinzelung vorfinden. Zum Schluß
zeigt Langhans noch den „ertrunkenen deutschen Sprachboden“.
Von philologischer Seite ist der Wunsch ausgegangen, enger mit dem
geographischen Fachgenossen zusammenzuarbeiten. Das ist zu begreifen. Auf dem
Gebiet der Sprachgrenzfestsetzung kann aus der gemeinsamen Arbeit viel Gutes
ersprießen. Daß die geographische Wissenschaft Übersichtskarten der Sprachen
produziert, auf denen mit scharfer Linie das Territorium deutscher Zunge von dem
französischen, das Französisch sprechende von dem bretonischen abgegrenzt ist,
erregt auf philologischer Seite keinen Widerspruch. Daß jedoch der Geograph immer
noch einen dicken Sprachenstrich zwischen dem nördlichen Portugal und Spanien,
selbst auf Karten großem Maßstabs zieht, oder daß er innerhalb eines Landes jede
Mundart mit einer einzigen Linie umfaßt, um diese Mundart wiederum in so und
so viele Untermundarten zu teilen, bedeutet eine Verkennung sprachlicher Entwicklung.
Niemand kann sagen, daß in dem Dorfe A das Hessische aufhört und im Dorfe B,
fünf Kilometer weiter, das Fränkische anfängt. Das Dorf A wird neben den vielen
hessischen Merkmalen seines Dialekts schon andere besitzen, die man als fränkisch
zu bezeichnen pflegt, und das Dorf B außer seinen fränkischen noch ein gut Teil
hessische.
Handelt es sich um die Ausbreitung von Idiomen einer engern Sprachgemeinschaft,
dann besteht der wissenschaftliche Weg in einer Einzeichnung von Grenzlinien zunächst
für eine möglichst große Anzahl sprachlicher Eigentümlichkeiten (z. B. Aussprache
der Laute, Vorkommen gewisser Wörter usf.) in eine Landkarte möglichst großen
Maßstabs. Das nächste Ergebnis ist ein Kartenbild voll scheinbar wirr durch-
einanderlaufender Grenzlinien. Eine nähere Betrachtung lehrt, daß auf gewissen
Strecken diese Linien sich in wulstigen Strängen zusammenfinden, deren Breite
vielleicht die Entfernung von zwei bis drei Ortschaften nicht überschreitet. In den
Liniensträngen liegt eine markant mundartliche Grenze vor, die der Geograph mit
vollem Recht auf einer Karte kleinern Maßstabs mit einer Linie darstellt.
Häufiger aber erscheint ein verwickeltes, ziemlich gleiclnnaseiliges Netz von
Grenzlinien, das erkennen läßt, wie von Ort zu Ort schier unmerklich ein Idiom in
das andere übergeht, wie z. B. das Portugiesische in seinem nördlichen Teil in das
Spanische, das Hessische in das Fränkische usw. An solchen Stellen darf der Geograph
niemals scharf abgrenzen. Die in der Gegenwart rasch fortschreitende philologische
Erforschung der lebenden Idiome wird ihm für solche spezielle Fragen ebenso das
Material liefern, wie sie ihn darüber wird aufzuklären haben, wodurch die geographische
P. Langhans i. P. M. 1920, T. 25. Vgl. dazu das Methodische S. 131, 132.