Sprachkarten.
475
Verschiebung der Idiome bedingt wurde, deren Ergebnis ihr gegenwärtiges mehr
oder minder deutlich erkennbares Abgrenzungssystem ist.
Auf der andern Seite hinwiederum wird der Philolog die Art und den Eifer des
Sammelns lokaler Merkmale, den eigentlich geographischen Sinn und die geographische
Methode immer mehr sich zu eigen zu machen haben, um die Fülle der dadurch
gewonnenen Aufschlüsse über den Zustand der von ihm zu erforschenden Idiome zu
einer Erkenntnis ihres Entwicklungsganges immer mehr nutzbringend zu verwerten.
Durch die gleichfalls auf dem Wege der sprachgeographischen Forschung erreichbare
neue und durchaus wissenschaftliche, mehr oder minder scharfe Abgrenzung der
kleinen und kleinsten Sprachgruppen gelangt er zu neuen Einsichten in das Sprach-
leben.
Der wissenschaftliche Betrieb der Sprachgeographie wird wesentlich durch
monumentale Quellenwerke gefördert, die in einer Reihe von europäischen Ländern
geschaffen wurden, und die auf einer großen Anzahl von Karten für bestimmte Worte
und Wortgruppen von zahlreichen Plätzen die entsprechende mundartliche Form in
phonetischer, auf das genaueste die lokale Aussprache reproduzierender Gestalt ver
zeichnen. Rastloser Gelehrtenfleiß brachte und bringt in Deutschland, Frankreich,
der Schweiz und Rumänien solche Schöpfungen zustande. Die Sprache, die wir reden,
die Mundarten in erster Linie, wurden und werden aufgezeichnet, und der sprach
wissenschaftlichen Forschung strömt ein neues wichtiges Material in reicher Fülle zu.
Deutschland besitzt das erste gewaltige Sammelwerk in G. Wenkers Sprachatlas
des Deutschen Reiches mit über 2000 Manuskriptblättern. 1 Es ist ein groß angelegtes
Kartenwerk, das im Laufe der Jahre mit den neu bearbeiteten Blättern immer
mehr gewonnen hat. 2
178. Sprachkarten mit kulturellen Elementen. Die Abstimmungskarte. Spraeli-
karten mit kulturellen Elementen auszustatten, ist dem Bedürfnis entsprungen, die
Sprachkarte einmal nach ihrer kulturellen Seite wertvoller zu gestalten und andermal
größern Kreisen schmackhafter zu machen. Sie allein erweist sich für weitere
kulturelle Schlußfolgerungen als unzulänglich. Der Geograph, der Kulturhistoriker,
der Volks Wirtschaftler, der Politiker wollen mehr aus ihr herauslesen als was sie von
Natur aus bietet. Der Fachgelehrte weiß nur zu genau, wo das Ende ihrer Kraft ist;
sie spiegelt lediglich die Verteilung der Sprache wieder, nicht einmal die der Völker.
Aber dennoch liegt in der Sprache ein gewisses kulturelles Element, dessen Bedeutung
schon durch wenige Beigaben im Kartenbild erhöht und schärfer hervorgehoben
wird. Dies wußte kaum einer besser als P. Langhans, als er auf seinen Karten schon
seit Jahren der kulturellen Bedeutung der deutschen Sprache und des Deutschtums
nachging. Auf der Karte der Sprachverteilung im Generalgouvernement Belgien
hebt er die Orte besonders hervor, wo deutsche und flämische Zeitungen erscheinen 3 ;
1 Die zwei öffentlich zugänglichen Exemplare von G. Wenkers Sprachatlas des Deutschen
Reichs befinden sich in der Kgl. Bibliothek, der heutigen Staatsbibliothek in Berlin, und in der Un.-Bi.
Marburg. — Er fing an zu erscheinen in Straßburg 1881.
2 Wenkers K. ist verschieden beurteilt worden. Der ursprüngl. Titel heißt: Sprach-Atlas
von Nord- und Mitteldeutschl. Auf Grund von svstemat. Mithilfe der Volksschullehrer gesammelt.
Material aus etwa 30000 Orten. Die Aufnahmen oder das Urmaterial durch die Lehrer soll wohl nicht
ganz einwandfrei gewesen sein. An dem sich an das Werk anschließenden Streit beteiligten sich außer
Wenker vor allem Bremer, F. Wrede und Schröder.
3 P. Langhans i. P. M. 1014. II. T. 22.