Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

Politische, historische und historisch-kartographische Karten. 
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urkundlichen Materials mußten die Grenzen der einzelnen Gerichtsbezirke bestimmt 
werden, da die kartographischen Quellen jener Zeit höchst mangelhaft waren. Der 
Historische Atlas der österreichischen Alpenländer, dessen erste Abteilung die „Land 
gerichtskarte“, bearbeitet unter Leitung von Ed. Richter, bringt, ist ein weiterer 
Beweis von der mühevollen Kartierung älterer Gerichtsbarkeitsgrenzen. Er hat unter 
anderm das Ergebnis gezeitigt, daß sich die Abgrenzungen der hohen Gerichtsbarkeit 
so ziemlich unverändert seit früherer Zeit behauptet haben, „daß sie einen festen 
Anhalt bieten für die genauere Abgrenzung der Grafschaften des 11. und 12. Jahr 
hunderts und vielleicht die beste Stütze für die Aufspürung der noch ältern Gau 
grenzen“. 1 Von einer „enormen Schwierigkeit“ berichtet auch C. Streit, als er auf 
den Karten des Atlas Hierarchicus die Diözesangrenzen festlegte. 
180. Historische und kartographisch-historische Methode. Nachdem ich im 
ersten Band der Kartenwissenschaft der historischen Methode in der Kartographie 
eine längere Untersuchung gewidmet habe 1 2 , erübrigt sich für mich liier im syste 
matischen Aufbau der Karte nur die Feststellung weniger charakteristischer Momente 
zwischen rein historischer unb kartographisch-historischer Methode. Die 
Geschichte umfaßt das Ganze des menschlichen Geschehens und ist vorzugsweise 
eine entwickelnde Wissenschaft. Um eine Epoche festzuhalten genügt ihr nicht bloß 
das Wort, sie greift dann gern zum Kartenbild. Die Karten, die sie zeichnet, sind 
Zustands-, Epoche- oder Zeitpunktkarten, wie R. Sieger sie genannt hat. 3 Die 
Zeitpunktkarten bilden einen geschichtlichen Querschnitt, wenn sie auch viele Tat 
sachen vereinigen, die nicht genau mit dem gewählten Zeitpunkt oder -abschnitt 
zusammenfallen. Ich bezeichne diese Karte als epochale Querschnittskarten. 
Auf sie bauen sich alle historischen Karten und Atlanten auf. Folgen die epochalen 
Querschnitte rasch aufeinander, kommt in der schnellen Reihenfolge der Karten eine 
Entwicklungsphase zum Ausdruck; folgen sie jedoch in großen Zeitintervallen, vermag 
die Karte der Genesis nicht mehr zu genügen und das beschreibende Wort springt 
in die Lücke ein. Die Geschichte schwimmt dann in ihrem eigentlichen Fahrwasser. 
Die kartographisch-historische Methode kann ein übriges tun; denn der ein 
zelnen Karte gibt sie die Fähigkeit, verschiedene Entwicklungsphasen in einem 
Bilde mit wünschenswerter Klarheit darzustellen, wie z. B. die Erweiterung und die 
Verluste der Grenzen oder der Sprachgebiete oder der Gletscher in verschiedenen 
Epochen. Sieger nennt diese Karten, die eine Entwicklung oder Veränderung dar 
stellen, Wachstumskarten, ich bezeichne sie als historische Längsschnitt 
karten oder kurz als genetische Karten. Für sie hat der Geograph eine besondere 
Vorliebe. Der Historiker hat es mit beiden Arten zu tun; er hinwiederum gibt den 
Querschnittkarten den Vorzug, da die Längsschnittkarten ihn zu wenig Detail in 
der Entwicklung geben. Auf sie und die kausalen Momente stützt sich jede gute 
Geschichtsschreibung. Aber daran wird auch der Historiker festhalten, daß es ohne 
Kartenkunde keine sichere Geschichtskunde gibt. 
Die kartographisch-historische Methode hat der historischen Methode gegen 
über darin einen Vorzug, daß sie bei ihrer Quellenforschung selten soweit ausholen 
1 J. Partsch i. G. Z. 1908, S. 686. 
2 M. Eckert: Karten Wissenschaft. I, S. 24—47. 
3 R. Sieger: Zur Behandlung der historischen Länderkunde. Mitt. des Inst. f. österreichische 
Geschichtsforschung, XXVIII, 1907, S. 248ff.
	        
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