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Die See- und Meerkarte.
der uns J. R. Förster berichtet hat. 1 Von den kartographischen Kenntnissen der
Eingeborenen der Karolinen erzählt Fr. H. v. Kittlitz. 1 2 Auf Kartengebilde, die im
Sinne unserer Seekarten von den Eingeborenen benutzt wurden, hat zuerst Adelung 3
und nach ihm Adalbert v. Chamisso hingewiesen. 4 Doch war in diesen Berichten
noch kein richtiges Bild, keine richtige Erklärung gegeben. Erst 1860 gelang es dem
amerikanischen Missionar L. H. Gulick mit Hilfe einer Häuptlingsfrau, die ver
mutlich von der Marshallinsel Ebon stammte, das Geheimnisvolle, mit dem die
Seekarten der Ozeanier, die Stab - oder Stäbchenkarten, umhüllt waren, zu lüften 5 ;
denn die Karten waren streng geheim und Verrat erwirkte die Todesstrafe. Erst
seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mehren sich die Nachrichten
über Stabkarten, und einzelne Exemplare werden in europäische und außereuropäische
Museen gebracht. Besonders sind es deutsche Seefahrer und Gelehrte, die sich mit
der Lösung des Stabkartenproblems beschäftigten. Darum erscheint es wie etwas
Selbstverständliches, daß die deutschen Museen die größte Anzahl von Stabkarten
aufweisen und somit vor dem Untergang gerettet haben. Die Karten sind für Studien
zwecke leicht zugänglich, da sich Exemplare davon in den Museen von Berlin, Ham
burg, Stuttgart, Bremen, Dresden, Leipzig, München und Wien befinden.
Langer Zeit bedurfte es, bevor man sich über das Wesen der Stabkarten klar
war. Zur Lösung des Problems haben J. H. Witt, der Führer eines deutschen Schiffes
des Reeders Godeffroy, Fr. Hernsheim, Aug. Krämer 6 und vor allem Kap. z. S.
Winkler und A. Schück 7 beigetragen. Die Abhandlung des letztem über die Stab
karten der Marshallinsulaner 8 ist das Vollständigste, was wir über diesen Gegenstand
besitzen. Seinen Ausführungen dürfte kaum ein wichtiger neuerer Gesichtspunkt
anzufügen sein. Selbst W. Droeber weiß in seiner Untersuchung über die Karto
graphie bei den Naturvölkern 9 die Schückschen Ausführungen nicht zu bereichern,
obwohl noch mancherlei ungeklärt bleibt, nämlich die Errechnung der mittlern Ent
fernungen und des ungefähren Maßstabs der Stabkarten. Merkwürdigerweise sind
bei Schück nicht einmal die Größen der einzelnen Karten angegeben, wobei er doch
alle sonstwie habhaften Karten in photographischer Verkleinerung bringt. Der Ver
kleinerungskoeffizient 1:15 scheint mir zu allgemein zu sein.
Äußerlich haben die Stabkarten mit unsern Seekarten nichts Gemeinsames.
Sie sind ein unregelmäßiges Gitterwerk von Stäbchen, die teils geradlinig unter ver
schiedenen Winkeln ineinander verflochten sind, teils in Kurven durch das Gitter-
1 J. R. Förster: Bemerkungen auf einer Reise um die Welt. Berlin 1783, I, S. 442ff.
2 Fr. H. v. Kittlitz: Denkwürdigkeiten einer Reise nach dem russisch. Amerika, nach Mikro
nesien u. durch Kamtschatka. 1858, II, S. 87.
3 J. Chr. Adelung: Vollständige Geschichte der Seefahrten usw. Halle 1767, S. 472. Adelung
berichtet hier nach dem Präsidenten de Brosse u. eigentlich nur von den „nötigen u. bestimmten
Begriffen von der Sternkunde, worauf sich die mehresten legen, weil ihnen diese Wissenschaft bey
der Schiffarth sehr brauchbar ist“.
4 Ad. v. Chamisso: Werke. Berlin 1874, IV, S. 194, 195.
5 Vgl. L. H. Gulick in Nautical Magazine 1862, XXXI, S. 304.
6 Aug. Krämer: Hawaii, Ostmikronesien u. Samoa. Stuttgart 1906, S. 419. (Auch ältere
Publikationen Krämers kommen in Betracht.)
7 A. Schück: Die Stabkarten der Marshallinsulaner. Hamburg 1902. (Mit 11 Tafeln.)
8 Winkler: Über d. in frühem Zeiten in d. Marshallinseln gebrauchten Seekarten. Marine-
Rundschau 1898, S. 1418 ff.
9 W. Droeber: Kartographie bei den Naturvölkern. Diss. Erlangen 1903.