Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

Wesen und Aufbau der Seekarte. 
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II. Wesen und Aufbau der Seekarte. 
11. Wesen und Zweck der Seekarte. Wenn in dem Entwicklungsgang der 
modernen Kartographie die Entwicklung der Marinekarte als eine besondere Phase 
ausgeschieden wird, liegt dies in dem Wesen der Seekarte begründet. Immer hat 
sie eine bewußte Selbständigkeit zur Schau getragen. Indessen hat sie in dem letzten 
Jahrhundert den Landkarten gegenüber eine weit größere Selbständigkeit und Eigen 
art als in frühem Jahrhunderten gewonnen, daß für die heutige Zeit die strenge 
Scheidung zwischen Seekartographie und Landkartographie berechtigter als 
wie für frühere Jahrhunderte erscheint. Man könnte auch, um eine Bezeichnungs 
weise von E. v. Sydow zu gebrauchen 1 , von einer „ozeanischen Kartographie“ im 
Gegensatz zur „terrestrischen Kartographie“ sprechen. Sind zuletzt die Methoden 
zur Gewinnung der einzelnen Kartenbauelemente fast die gleichen, differenzieren 
sie sich doch im engen Kreise im Hinblick auf den bestimmten Zweck. 
Die Seekartographie umfaßt Karten im engern und weitern Sinne. Im engern 
Sinne sind es insonderheit die Küstenkarten, die wir kurzweg als „Seekarten“ zu 
bezeichnen gewöhnt sind, die sich also bei rein oberflächlicher Betrachtung nur mit 
dem orographischen Aufbau des Ufergeländes und des nächstliegenden Streifens des 
Meerbodens befassen. Dazu gehören auch die Übersichts- oder Segelkarten. Im 
weitern Sinne umgreift die Seekartographie alle Kartendarstellungen, bei denen es 
sich sowohl um die Physik des Meerbodens und Meerwassers wie auch um die atmo 
sphärischen Erscheinungen über dem Meerwasser handelt. Darum ist es ganz gut, 
die weitere Gruppe als Me er karten von den eigentlichen Seekarten zu unter 
scheiden, wie man auch schon in früherer Zeit zwischen See- und Wasserkarten unter 
schied. Ja man könnte unbeschadet des Ganzen die Meerkarte unter die große 
Abteilung der naturhistorischen Karte bringen. Doch ist daselbst die Fülle schon 
eine überwältigende und hier paßt sie besser in das „Milieu“. 
Spricht man von „Seekarten“ schlechthin, versteht man in und außerhalb der 
nautischen Kreise immer die vom Seemann gebrauchte Küstenkarte und sodann 
die Segelkarte, die in der gleichen Manier wie die Küstenkarte angefertigt ist und 
nur weitere Meeresgebiete oder größere Ozeangebiete umspannt. Die genannten 
Seekarten sind eigentlich gar keine Karten im gewöhnlichen Sinne, es sind mehr 
nautische Nachrichten, im Kartenbild symbolisiert. Gewiß will die Seekarte 
ebensowohl wie die Landkarte orientieren und auch einen Einblick in den orographischen 
Aufbau eines bestimmten Gebiets der Erde, nämlich eines an und für sich schmalen 
Küstenstreifens, gestatten, doch schießt sie weit über dieses Ziel hinaus, da sie in der 
Hauptsache eine kartographische Anweisung für die Seeleute ist, die in engem 
Zusammenhang mit den Nachrichten für Seefahrer, Küstenhandbüchern und Leucht 
feuerverzeichnissen steht. Darum wäre es auch am besten, man spräche nur von 
nautischen Karten. Die Frischhaltung der Karte geschieht durch das seemännische 
Nachrichtenwesen. Die seemännischen Nachrichten sind einkommende und aus 
gehende Nachrichten, die der Führung eines Schiffes Übersee, von Hafen zu Hafen, 
angehen. Die Seekarte ist dem Nautiker ein richtiges Arbeitsblatt, auf dem er mit 
Lineal, Bleistift und Gummi arbeitet, auf dem er Schiffsort, Peilungen und Kurse 
bestimmt. Darum muß die Karte bei feuchter Luft oder sogar bei Nässe verwendbar 
1 E. v. Sydow: Die Kartographie Europas bis zum Jahre 1857. P. M. 1857, S. 88. 
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