Zur Ästhetik der Geländedarstellung.
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diejenigen, die von der Karte als einem Porträt des Landes reden, außer acht lassen,
nämlich, daß hei vielen Porträts ein und derselben Person die Ähnlichkeit trotz der
verschiedensten Beleuchtung immer wieder in die Augen springt, dagegen bei Ge-
birgskarten dies sehr schwer hält und hei östlicher oder südlicher Beleuchtung Bilder
entstehen, die geradezu befremden. 1 Dazu kommt, daß jedes Porträt ein in sich
abgerundetes, abgeschlossenes Ganze ist, dagegen die Terrainkarte immer nur ein
großer Teil eines weit großem Ganzen. Entsprechen außer dem optischen Eindruck
des Geländes die Farben den Gegenständen, die der Beschauer, wenn er an das
Kartenbild herantritt, aus der Erfahrung kennt, täuscht ihm die Karte eine Gebirgs
landschaft vor; sie erweckt eine Illusion. Der Beschauer selbst urteilt: so ist die
Karte schön, so ist sie häßlich. Im gewöhnlichen Leben wird meist so geurteilt:
Das Bild ist ähnlich, das Bild ist unähnlich. ,
Ein ganz besonderer Genuß ist es, in der Natur wiederzuerkennen, was einem
schon aus der Karte geläufig ist. Der Beiz der ersten Alpenreise ist wohl zum größten
Teil darauf zurückzuführen, daß man beim Anblick dieser Flyschrücken, der hohen
Zinnen und klotzigen Mauern der Kalksteine, der langen Rücken und scharfen Grate
und kühnen Pyramiden der Urgebirgsgesteine ein fortwährendes Wiedererkennen
der Formen, die man aus Bild und Karte kennt, feiert. Es hat darum auch einen
feinen psychologischen Grund, warum man gerade die Touristenkarten mit plastischen
Effekten ausrüstet.
Das Herausarbeiten der Ähnlichkeit, die Nachahmung der Natur, war
schon den Griechen das Kennzeichen aller Kunst. Je nachdem nun das Kunst
erzeugnis, in unserm Falle die Karte, vom Kinde oder vom Erwachsenen betrachtet
wird, wird die Nachahmung verschiedengradig sein. Dem gesteigerten geistigen
Bedürfnis des Erwachsenen entsprechend muß die Karte für ihn einen bedeutendem
und tiefem Inhalt als bei dem Kinde haben. Dabei muß die Nachahmung der Natur
eine intensivere und genauere im Detail sein. Der optische Eindruck wird den wissen
schaftlich fundierten Details gegenüber zurücktreten; und die allmähliche Befreiung
von der Illusion ist das Ziel der wissenschaftlichen Geländekarte, was sie als Spezial
karte auch erreicht. Anders bei den Karten für die niedern Schulstufen. In
der Hervorbringung der Illusion liegt das psychologische Moment, das die Bevor
zugung von reliefartig gemalten Karten für den geographischen Elementar-Unterricht.
erklärlich scheinen läßt. Viele unserer besten Kartographen finden es unbegreiflich,
wie Karten mit grober plastischer Sinnfälligkeit, die nur zu oft der wissenschaftlichen
Grundlage ermangeln, für Schulen angekauft und gebraucht werden können. 1 2 Psycho
logisch ist diese Erscheinung, wie wir bereits andeuteten, erklärlich.
Ein Kind wird durch eine ganz andere Kunst in Illusion versetzt wie ein Er
wachsener, ein niederes Kulturvolk durch eine ganz andere wie ein hochstehendes
1 Man vgl. nur die Karte der Schweiz in südlicher Beleuchtung in A. Heinis Geologie der
Schweiz I. Leipzig 1919, T. III.
2 z. B. die sog. Kuhnertschen Relief-Schulkarten aus dem Müller-Fröbelhaus-Verlag in Dresden,
die vor etwa 20 Jahren eine Rolle spielten. Die Kontinentkarten von Kuhnert können sich noch sehen
lassen, nicht aber die Heimatkarten. Ich kenne z. B. die Schul-Handkarte der Bezirke Löbau und
Zittau, gez. v. M. Kuhnert. Mit derartigen Karten, die nicht anders wie ein ausgebeultes Blech
aussehen, versündigt man sich geradezu an unserer Schuljugend. — Desgleichen ist die Wandkarte
des Deutschen Reiches von H. Harms, die sich für den Unterricht gar w r ohl verwerten läßt, von
kartographischer Fachseite (H. Haack) stark bemängelt worden.
Eckert, Karten Wissenschaft. II.
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