Die Seekartenprojektionen.
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Die erste Seekarte in Marinusprojektion dürfte die Karte des Claudius Clavus
aus dem Jahre 1427 sein 1 , die zugleich die erste nichtptolemäische Karte mit bestimmtem
Datum und mit rechtwinklig sich kreuzenden Längen und Breiten ist. Von ihr liegt
jedoch nur eine Kopie vor, deren großes Original sicher als Seekarte benutzt wurde. 1 2
Eine andere älteste nautische Plattkarte ist die Karte des Paolo Toscanelli aus dem
Jahre 1474, die H. Wagner rekonstruiert hat (S. 11). Erst im 16. Jahrhundert
wurde der Gebrauch der Plattkarte häufiger. Sie erreichte als „Paßkarte“ eine gewisse
Blüte im 17. Jahrhundert, zum nicht geringsten durch die Karten der großen hol
ländischen Seeatlanten veranlaßt, um jedoch in den folgenden Jahrhunderten all
mählich ganz und gar zu verblassen. Nur hier und da flackert ihr Lebenslicht noch
etwas auf. 3
Nicht allein in nautischen Kreisen wurde sie angewandt, sondern auch in kosmo-
grapliischen, die das Netz der sich rechtwinklig kreuzenden geographischen Koordinaten
kaum auszogen, indessen durch die Einzeichnung von Strichrosen den Seekarten
gegenüber ein Konzession machten, welcher Umstand auch in den Überschriften
„Hydrographia“ oder „Carta marina“ zum Ausdruck kam. Erinnert sei nur an die
„Hydrographia sive Charta marina“ in der Straßburger Ptolemäusausgabe von 1513 4 ,
die Martin Waldseemüller versorgte, oder an eine andere Weltkarte des Laurentius
Frisius aus der Straßburger Ptolemäusausgabe von 1522. 5 Auf Karten mit gekrümmten
Parallelen und Meridianen oder nur mit gekrümmten Meridianen wurden nie Wind
rosen gezeichnet, wodurch man dokumentierte, daß sie nicht als Seekarten auf
zufassen sind.
d’Avezac war der Meinung, daß die Plattkarten nicht zur Bestimmung des See
wegs geeignet wären; das Gegenteil ist der Fall, wie wir aus verschiedenen Lehr
büchern der Steuermannskunst des 17. und 18. Jahrhunderts wissen. Im 16. Jahr
hundert, 1530, wenn nicht schon 1525, erschien von Waldseemüller in Marinusprojektion
die Charta marina oder Meercharte in 12 Folioblättern, zugleich mit einer „Under-
weissung und Usslegung der Meercharten“ bei Grüninger in Straßburg. Aber noch
ist die Anweisung über den Gebrauch der Plattkarte zu aphoristisch, besser ist dies
schon in dem ersten gedruckten Werke über Steuermannskunst von Pedro de Medina:
Arte del navegar, Valladolid 1545 (Venedig 1552). Beigegeben ist die Carta del navegar
in Plattkartenkonstruktion. Ferner finden wir Plattkarten und Anweisung zu ihrem
Gebrauch in einem Werke von B. Dudley aus dem Jahre 1646. 6 In dem Lehrbuch
der Steuermannskunst, die P. von der Horst in Lübeck 1676 herausgegeben hat,
wird das Verfahren der Schätzung des zurückgelegten Weges auf hoher See folgender
weise skizziert: „Up grote Fahrwaters mag men leren gude Gissung maken, so men
alle Dage bequem Weder hefft, dat men kan Höchte an der Siin un Steren nehmen,
den ut de Verandering der Brede un Wetenschap van dat Kors, dat men segelt, mag
men erkennen, wo veel Milen dat men de in Tvd gesegelt hefft.“ 7 In dem gleichen
1 A. E. v. Nordenskiöld: Facsimile-Atlas. 1889. Fig. 27.
2 S. Rüge: Der Periplus Nordenskiölds. Deutsche Geogr. Bl. XXIII. Bremen 1900, S. 178, 187.
3 M. Eckert: Die Kartographie im Kriege. G. Z. 1920, S. 282.
4 A. E. v. Nordenskiöld, a. a. O., T. XXXV.
5 A. E. v. Nordenskiöld, a. a. O., T. XXXIX.
6 R. Dudley (Dudleo): Del d’Arcano del Mare, Firenze 1646. [Bi. der Geogr. Soc. in London.]
7 P. von der Horst: Beschriving van der Kunst der Seefahrt, darin durch gewisse Grund-
Regulen werdt angewiset, wo men een Schip aver See van dem einem Lande tho dem andern bringen
sal. Lübeck 167.3. [K. Bi. Berlin.]