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II. Teil. Das Kataster.
anerkennen, ohne dadurch ihre gegenseitigen Eigentumsansprüche aufzugeben.
Für ihn wie für jeden Fandmesser, der als Unparteiischer Grenzfeststellungen zu
machen hat, werden daher allgemein die Grundsätze gelten müssen, die Oberland
messer Gräbke in „Die rechtlichen Grenzen im Sinne der Katasteranweisung II
vom 21. Februar 1896“ niedergelegt hat. (A. V. N. 1897, S. 197—199.)
„1. Die Katasteranweisung II hat mit dem Begriff „rechtliche Grenzen“ nicht
die in der Katasterkarte dargestellten Grenzen bezeichnen wollen.
2. Unter rechtlichen (rechtsgültigen) Grenzen sind diejenigen zu verstehen,
die maßgebende Urkunden nachweisen. Als solche Urkunden gelten
Auseinandersetzungskarten, Vermessungsverhandlungen, gerichtliche Ent
scheidungen usw., nicht aber die Katasterkarten, soweit sie sich nicht
auf solche Urkunden stützen oder soweit sie nicht ausnahmsweise aus
drücklich anerkannt werden.
3. Die Beteiligten können eine andere Grenze, als sie die maßgebenden
Urkunden nachweisen, als Figentumsgrenze einrichten (GrenzVeränderung).
4. Fehlen maßgebende Urkunden, so sind die von den Grenznachbaren ört
lich übereinstimmend als solche bezeichneten und in einer Verhandlung
anerkannten Grenzen die rechtlichen (rechtsgültigen) Grenzen.“
In diesen 4 Sätzen ist kurz und bündig alles gesagt, was der Vermessungs
ingenieur als unparteiischer Sachverständiger zu beherzigen hat. Sobald
der Inhalt obiger 4 Feitsätze erschöpft ist, hört die Kunst des Technikers auf,
ja für ihn ist schon in Satz 3 alles enthalten, was ihm als Richtschnur bei seinen
Verhandlungen gelten kann und muß.
Wesentlich anders hingegen stellt sich die Sache, sobald ein Vermessungs
beamter als Sachverständiger für eine bestimmte Partei aufzutreten
und insbesondere die Aufgabe hat, zu untersuchen, welche der Angaben die
richtigere sei. Grundsätzlich müssen ja auch für ihn, solange er öffentlich be
stellter Fandmesser mit allgemeiner Glaubwürdigkeit ist, obige 4 Feitsätze
maßgebend sein, aber ihre Bedeutung in die Praxis zu übertragen, so daß die
örtlich festgestellte Grenze vor dem Prozeßrichter und jedem weiteren tech
nischen Sachverständigen als zweifellose oder wenigstens nach bestem Wissen
und Wollen hergestellte, wahrscheinlichst richtige Figentumsgrenze be
stehen kann, ist eine schwere Kunst, die ein ungemein praktisches Verständnis,
eine große landmesserische Tüchtigkeit und vielseitige Erfahrung voraussetzt.
Nachstehend soll versucht werden, an einigen praktischen Beispielen dar
zutun, wie am zweckmäßigsten die örtliche Behandlung der Grenzfeststellungs
aufgaben zu erfolgen hat.
Beispiele zu Grenzfeststellungen.
Von vielen Vermessungsbeamten wird alten Verkoppelungskarten eine über
trieben hohe Bedeutung beigemessen. Sie können jedoch nur dann ausschlaggebend
sein, wenn sie vereint mit dem Rezeß die einzige glaubwürdige Vermessungsurkunde
bilden, und wenn sämtliche Grenzinteressenten damit einverstanden sind, daß
lediglich nach ihnen die Figentumsgrenze hergestellt werde, oder wenn im gericht
lichen Grenzstreitigkeitsverfahren durch Erkenntnis entschieden wird, daß sie
für die Grenz Wiederherstellung allein maßgebend sein sollen.