§ 7. Die Araber und die christlichen Völker des Mittelalters. 23
er, als der Erste, die Tangente in die Trigonometrie ein und
berechnete für r — 60 eine Tangententafel. Dabei definiert
er die neue Winkelfunktion so: „Die umbra eines Bogens ist
eine Linie, welche von dem Anfangspunkte des Bogens parallel
dem Sinus geführt wird, in dem Intervalle zwischen diesem
Anfänge des Bogens und einer von dem Mittelpunkte des Kreises
nach dem Ende des Bogens gezogenen Linie. ... So ist die
umbra die Hälfte der Tangente des doppelten Bogens, welche
enthalten ist zwischen den zwei Geraden, welche vom Mittel
punkte des Kreises nach den Endpunkten des doppelten Bo
gens geführt werden.“ Mit Leichtigkeit weifs er sodann alle
die Relationen abzuleiten, welche zwischen den Funktionen
sin cp, cos cp, tg cp, ctg cp, sec cp, cosec cp bestehen*).
Unter den übrigen arabischen Mathematikern, die sich um
die Ausbildung der Trignometrie verdient gemacht haben, er
wähnen wir noch Ihn Jünus von Kairo (gest. 1008), nament
lich aber den im 11. Jahrhundert in Sevilla lebenden Ibn
Aflah, auch Geber genannt, der die nach ihm benannte Fun
damentalformel cos ß — cos h sin a für das rechtwinklige sphä
rische Dreieck (Geber’scher Lehrsatz) zuerst aufstellte und sich
überdies von allen übrigen arabischen Astronomen dadurch
unterschied, dafs er zu den von ihm aufgestellten Sätzen voll
ständige Beweise gab**).
Wenden wir uns nunmehr zu den Völkern des christ
lichen Mittelalters, so können wir über die Zeit von der
Völkerwanderung bis zum Ausgange des 10. Jahrhunderts mit
Stillschweigen hinweggehen. Nicht nur hat das Problem von
der Quadratur des Zirkels keinerlei Fortschritte aufzuweisen,
sondern es ist überhaupt in dieser Zeit bei den christlichen
Völkern des Abendlandes von mathematischer Forschung nicht
viel die Rede. War doch die gelehrte Bildung dieser Zeit eine
wesentlich lateinische und daher auch die Kenntnis der Mathe
matik ausschliefslich abhängig von der, wie wir gesehen haben,
sehr unbedeutenden mathematischen Bildung der Römer! Erst
*) Hankel, pag. 280—285; Cantor I., pag. 632—642; Wolf I., pag.
165—169.
**) Hankel, pag. 285—287.