10
Yon den scheinbaren Bewegungen der Himmelskörper.
Fünftes Kapitel.
Lage der Himmelsachse und der Parallelkreise zum Horizonte
(von Berlin).
Ans der oben angegebenen Entstehungsweise des Aequators und der mit
ihm gleichlaufenden Kreise durch die Achsendrehung ergiebt sich von selbst,
daß die Achse mit der Ebene des Aequators und der aller übrigen Parallel
kreise stets rechte Winkel bilden muß. Da diese Lage eine unveränderliche
ist, so muß die Lage aller jener Kreise zum Horizonte von der Lage der
Achse zum Horizonte abhängig sein.
1. Wie die Achse nicht liegt. Angenommen, die Himmelsachse stände
senkrecht auf der Ebene des Horizontes, so daß sie also mit der Scheitel
linie, und der Pol (wir wollen annehmen der Nordpol) mit dem Zenithe zusam
menfiele; so müßte offenbar, da der Horizont die Himmelskugel halbirt, die
ganze nördliche Halbkugel der letzteren über dem Horizonte sich befinden, und
da diese durch den Aequator von der südlichen geschieden wird, der Aequator
selber mit dem Horizonte zusammenfallen. Alle Sterne müßten dann aber
Tagkreise beschreiben, die, weil mit dem Aequator, auch mit dem Horizonte
parallel liefen. Von einem Auf- und Untergänge der Gestirne könnte bei einer
solchen Lage der Tagkreise nicht die Rede sein; vielmehr müßten alle Sterne
der nördlichen Halbkugel stets über dem Horizonte verweilen, oder es müßten
alle sichtbaren Sterne Circumpolarsterne sein.
2. Wie die Achse liegt. Nach dem aber, was wir bereits über die
Bewegung der Sterne und die Lage ihrer Tagkreise zum Horizonte wissen, kann
bei uns die Achse eine senkrechte Lage zum Horizonte nicht haben; vielmehr
muß sie schief auf demselben stehen, da die Tagkreise aller Sterne schief
gegen den Horizont liegen. Es entsteht also nur die Frage: Wie schief steht
die Achse des Himmels auf dem Horizonte (von Berlin)?
' Da man die beste Einsicht in eine Sache gewinnt, wenn man sie entstehen
sieht, so wollen wir die Lage der Himmelsachse zu unserm Horizonte vor
unserm geistigen Auge entstehen lassen, und dabei von der vorhin erwähnten
senkrechten Lage der Achse ausgehen. Es fällt bei dieser Lage der Nordpol
mit dem Zenithe, der Südpol also mit dem Nadir zusammen; beide Punkte sind
dann also 90 0 vom Horizonte entfernt. Der Himmelsäquator aber liegt ganz
in dem Horizonte.
Neigt man nun in Gedanken die Himmelsachse in der Ebene des Meridians,
wir wollen annehmen 10 °, nach N., so steht sie offenbar nicht mehr senkrecht
auf der Ebene des Horizontes, sondern macht mit derselben, und zwar mit der
Mittagslinie, einen Winkel von 80 °. Diesen Winkel, oder was dasselbe ist, den
Bogen des Meridians vom Horizonte (Nordpunkt) bis zum Nordpol nennt man
die Polhöhe. Die Polhöhe ist also der (Neigungs-) Winkel, den die
Himmelsachse mit dem Horizonte macht. Sie wäre in unserm Falle
gleich 80°. Von der Scheitellinie aber wiche nun die Himmelsachse um einen