Full text: Das perspektivische Zeichnen

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Ueberhaupt muß sich der perspektivische Zeichner nicht allzusehr von 
der Strenge der Construktion zum Nachtheil einer freien künstlerischen 
Auffassung beeinflussen lassen und besonders nicht alle Einzelheiten seines 
Gegenstandes bis ins Kleinste perspektivisch construiren wollen. Es würde 
dies oft, z. B. bei Darstellung eines großen Gebäudes mit reicher Archi 
tektur und vielfachen Verzierungen, wenn nicht geradezu unausführbar sein, 
doch einen solchen Aufwand an Zeit und Mühe und eine solche Masse von 
Linien bedingen, daß nur Verwirrung und Steifheit die Folge sein würde. 
Ebenso wie die Profile und Ornamente bei Bauentwiirfen ungleich schöner 
ausfallen, wenn sie aus freier Hand gezeichnet, anstatt geometrisch construirt 
werden, so wird sich der perspektivische Zeichner auch mit der Aufsuchung 
und Bestimmung der Hauptumrisse und Linien begnügen und Einzelheiten, 
sowie die Staffagen aus freier Hand und mit freiem Geiste dem Bilde 
einfügen, um solches über das Niveau kalter Berechnung auf die Höhe 
geistigen Schaffens zu erheben und zum Kunstwerke zu gestalten. 
Man darf nicht vergessen, daß alle perspektivischen Construktionen, 
genau genommen, nur Annäherungen an die Wahrheit sind. Schon 
deshalb, weil sich in Wirklichkeit die uns umgebenden Dinge auf einer 
Kugelfläche, den: Auge, abzeichnen, während wir unsere Bilder gewöhnlich 
auf einer ebenen Zeichneutafel oder Bildfläche wiederzugeben haben. So 
bleiben z. B. senkrechte Linien, die wir auf unseren Bildern ans guten 
Gründen als Senkrechte bestehen lassen, in Wirklichkeit nicht senkrecht, wie 
wir das deutlich bei photographischen Bildern sehen können, bei denen 
z. B. zwei neben einander stehende Thürme ihren senkrechten Parallelismns 
verlieren und nach oben, also nach ihren entfernteren Theilen zu, sich 
gegenseitig nähern. Aehnliches gilt von geneigte:: oder wagerechten Linien, 
die sämmtlich sowohl nach rückwärts als nach den Seiten hin in Wirklich 
keit als schwach gekrümmte Linien auftreten, ein Umstand, auf welchen bei 
Herstellung mancher Bautheile Rücksicht genommen werden muß, wenn man 
falsche oder ungünstige Wirkungen vermeiden will. Es liegt ans der Hand, 
daß Construktionen dieser Art ebenso nnthunlich als unschön sein würden 
und vollständig übersehen werden müssen.
	        
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