Object: Briefe an Kugelmann

46 London, 12. April 1871. 
LIEBER KUGELMANN, 
Dein „Ärztliches“ war sofern effektvoll, als ich meinen Dr. Mathe- 
son konsultiert und mich vorläufig in seine Kur begeben habe. Er 
erklärt jedoch, daß meine Lungen in der besten Ordnung sind und der 
Husten mit Bronchitis etc. zu tun hat. Ditto wird er auf die Leber 
wirken. 
Gestern bekamen wir die keineswegs beruhigende Nachricht, daß 
Lafargue (nicht Laura) augenblicklich in Paris. 
Wenn Du das letzte Kapitel meines „Achtzehnten Brumaire“ nach- 
siehst, wirst Du finden, daß ich als nächsten Versuch der französi- 
schen Revolution ausspreche, nicht mehr wie bisher die bürokratisch- 
militärische Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, 
sondern sie zu zerbrechen, und dies ist die Vorbedingung jeder wirk- 
lichen Volksrevolution auf dem Kontinent. Dies ist auch der Versuch 
unserer heroischen Pariser Parteigenossen. Welche Elastizität, welche 
historische Initiative, welche Aufopferungsfähigkeit in diesen Pari- 
sern! Nach sechsmonatlicher Aushungerung und Verruinierung durch 
inneren Verrat noch mehr als durch den auswärtigen Feind, erheben 
sie sich, unter preußischen Bajonetten, als ob nie ein Krieg zwischen 
Frankreich und Deutschland existiert habe und der Feind nicht noch 
vor den Toren von Paris stehe! Die Geschichte hat kein ähnliches 
Beispiel ähnlicher Größe! Wenn sie unterliegen, so ist nichts daran 
schuld, als ihre „Gutmütigkeit“. Es galt gleich nach Versailles zu 
marschieren, nachdem erst Vinoy, dann der reaktionäre Teil der Pa- 
riser Nationalgarde selbst das Feld geräumt hatte. Der richtige Mo- 
ment wurde versäumt aus Gewissensskrupel. Man wollte den Bürger- 
krieg nicht eröffnen, als ob der mischievous avorton! Thiers den 
Bürgerkrieg nicht mit seinem Entwaffnungsversuch von Paris bereits 
eröffnet gehabt hätte! Zweiter Fehler: Das Zentralkomitee gab seine 
Macht zu früh auf, um der Kommune Platz zu machen. Wieder aus 
zu '„ehrenhafter“ Skrupulosität! Wie dem auch sei, diese jetzige Er- 
hebung von Paris — wenn auch unterliegend vor den Wölfen, Schwei- 
nen und gemeinen Hunden der alten Gesellschaft — ist die glorreichste 
Tat unserer Partei seit der Pariser Juniinsurrektion. Man vergleiche 
mit diesen Himmelsstürmern von Paris die Himmelssklaven des 
deutsch-preußischen heiligen römischen Reiches mit seinen posthumen? 
Maskeraden, duftend nach Kaserne, Kirche, Krautjunkertum und vor 
allem Philistertum. 
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