396
Achter Abschnitt.
dennoch hei einem unbegrenzten Anwachsen von nicht zu
übersehendem Einflüsse sein. Nähme z. B. die Neigung der
Erdbahn gegen den Umdrehungsäquator der Erde, in Folge
dieser Anziehungen, nach und nach zu, so dass sie beide
einen rechten Winkel bildeten, so würde das Jahreszeiten-
verhältniss eine totale Aenderung erleiden, und Winter und
Sommer in weit grösseren Differenzen, als gegenwärtig, aus
einandergehen. Die Sonne würde den Polbewohnern in der
Mitte ihres Sommers in’s Zenith rücken und eine kurze Zeit
fast unbeweglich dort stehen bleiben. In allen Gegenden der
Erde würde es Tage geben, wo die Sonne nicht auf- und
untergeht, wass jetzt nur jenseit des ßß 1 /,, 0 Br. der Fall ist;
mit anderen Worten: die ganze Erde würde in dasselbe
Yerhältniss gesetzt, in welchem jetzt die polaren Regionen
stehen. Würde umgekehrt die Schiefe der Ekliptik zu irgend
einer Zeit gleich Null, fiele demnach die Ebene des Aequators
mit der der Ekliptik zusammen, so würde kein Unterschied
der Jahreszeiten mehr stattfinden, die gegenwärtige mittlere
Jahrestemperatur eines gegebenen Ortes würde die eines jeden
einzelnen Tages werden, und da nun auch der Unterschied
der Tageslängen wegfiele, überall auf der Erde zu allen Zeiten
12 Stunden Tag mit 12 Stunden Nacht abwechselten und nur
die äussersten Polargegenden einen ewigen, aber bleichen und
kraftlosen Tag genössen, so würde man den Jahrescyklus nur
noch an den Sternbildern, die in einer gegebenen Nachtstunde
culminiren, wahrnehmen können; er würde auf hören von Wich
tigkeit für die Lebensordnung und die Geschäfte der Erdbe
wohner zu sein, und nur der Astronom würde sich seiner
noch bedienen. Dass Planeten unter solchen Verhältnissen
bestehen können, beweisen Uranus, der sich im ersten Falle,
und Jupiter, der sich im letzteren (wenigstens nahezu) be
findet. Aber in einer misslichen Lage befände sich der Welt
körper, der aus einem Zustande in den anderen überginge;
oder auch nur stark zwischen beiden schwankte: beides wäre un
verträglich mit der Constanz der Naturökonomie auf einem
solchen Planeten. Untersuchungen über die Möglichkeit und
Ausdehnung solcher Veränderungen sind daher von allgemein
practischem, nicht mehr bloss wissenschaftlichem Interesse.
Neigungen und Knoten der Bahnen sind relative Bestim
mungen, die nur dann einen bestimmten Sinn geben, wenn
man sie auf eine unveränderliche Ebene bezieht. Weder die
Ekliptik noch der Aequator der Erde sind feste Ebenen dieser
Art: beide participiren an den Veränderungen, die sie Wechsels