Full text: Der Wunderbau des Weltalls oder populäre Astronomie

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Vierzehnter Abschnitt. 
Man hatte gefragt, weshalb Venus und Merkur, wenn sie 
zwischen Erde und Sonne hindurch gehen, nicht auch wie der 
Mond Verfinsterungen der Sonne bewirkten? Ptolernäus glaubt, 
die gerade Linie von der Sonne zu diesem Planeten führe 
verlängert stets an der Erde vorüber, ohne je auf sie zu tref 
fen, ein für jene Zeit gewiss verzeihlicher Irrthum, hei wei 
ten verzeihlicher, als die Annahme derer, die in unseren Tagen 
von Merkursdurchgängen sprechen, welche die Alten beobachtet 
haben sollen. 
Wir kommen zu dem System des Ptolernäus, in dem wir 
einen Versuch erblicken, den Erscheinungen der Himmelskörper 
durch Rechnung zu genügen, mit anderen Worten: sie vorher 
zusagen, was auch, wenn man sich mit rohen nur ohngefähr 
zutreffenden Bestimmungen begnügen will, das Ptolemäi'sehe 
System in der That leistet. Denn wie wenig er selbst von 
seiner Erklärung befriedigt war, erhellt aus seiner Antwort auf 
den ihm gemachten Vorwurf, sein System sei nicht einfach 
genug. „Nicht alle Dinge sind einfach; man muss freilich 
versuchen, mit einfachen Erklärungen auszureichen, wenn dies 
aber nicht gelingt, sich behelfen so gut es geht.“ Er wollte 
nicht (oder durfte nicht?) die Ruhe der Erde antasten, und 
so konnte er das „Einfache“, was er selbst wünschte, nicht 
zu Stande bringen. 
Sein System besteht wesentlich darin, dass er die tägliche 
Umdrehung der Erde auf das primum mobile übertrug, wie dies 
schon früher geschehen war, und den jährlichen Umlauf den 
Planeten zuschrieb, denen er zu diesem Behuf epicyklische 
Bahnen gab. Da jedoch die Ebenen, in denen Erde und Pla 
neten sich bewegen, verschiedene sind, so musste dem Epicykel 
eine Neigung gegen den Hauptkreis gegeben werden, und da 
auch dies nicht ausreichte (wegen elliptischer Gestalt der Bahnen), 
so mussten an den Epicyklen abermals Epicykel zweiter Ordnung 
angebracht werden. Wenn man diese Vervielfältigungen noch 
willkürlich weiter fortsetzte, so hätte man schliesslich zur 
Darstellung aller Ungleichheiten gelangen können, aber durch 
Rechnungen, die wegen ihrer ungeheueren, ganz unabsehbaren 
Länge so gut wie unausführbar waren und auch nie versucht 
worden sind. An eine genetische Erklärung, an eine theore 
tische oder gar physische Astronomie war bei alle dem nicht 
zu denken; alles war Empirie und das einzige nicht blos schein 
bare, sondern wirklich Wahre und mindestens annähernd Rich 
tige in diesem System war die Bewegung des Mondes um die 
Erde. — Es begreift sich, dass ein so scharfblickender Forscher 
von diesem seinem System wenig befriedigt sein konnte. 
Sollten die Epicyklen die Stelle der Erdbahn vertreten,
	        
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