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Fünfzehnter Abschnitt.
Skizze des Sonnenspectrums über dem des Aldebaran über
einander gestellt.*)
Man sieht hier als gemeinschaftliche unter Anderen die
Linien C, I), E, F, H Fraunhofer’s neben vielen Verschieden
heiten. Dieses gleichzeitige Auftreten von theilweiser Ueber-
einstimmung und Verschiedenheit bei sehr vielen Sternen gab
ein grosses Räthsel auf, welches erst durch die grosse Ent
deckung der Spectral-Analyse von Kirchhof und Bimsen eine
überraschende Lösung gefunden hat.
Ursache der dunklen Linien des Spectrum der Sonne
und der meisten andern Himmelskörper.
§ 6.
Man hatte in Betreff der Erklärung der dunklen Linien
nur zwischen zwei Hypothesen die Wahl: entweder sendet
die Sonne Strahlen von ganz bestimmter Wellenlänge gar
nicht aus, während sich ihr Spectrum doch von Roth bis
zum Violett (und sogar noch recht weit in’s Ultra-Violett
oder den direct nicht sichtbaren Theil) erstreckt, oder
es geht das entsprechende Licht erst auf seinem Wege durch
irgend einen Vorgang verloren. Vom Standpunkte der Wellen
theorie hat die erstere Hypothese in solchem Grade die Wahr
scheinlichkeit gegen sich, dass sie kaum in Betracht kommt,
und man war also darauf geführt, in diesem Auftreten der
dunklen Linien im Spectrum der Sonne eine Absorptions-Er
scheinung von der Art zu sehen, wie man sie bei dem Durch
gehen des Lichtes durch Gas- oder Dampf-Schichten schon
kennen gelernt hatte. Es zeigt bei solcher Gelegenheit das
Spectrum ebenfalls dunkle Linien und Liniengruppen, die sich
bei vielen Gasen zu dunklen Banden vereinigen. Auch hier
ist es Licht von ganz bestimmten Wellenlängen und Schwin-
gungsdauern, welches verloren geht; man nennt deshalb diese
Art der Absorption die elective oder auswählende, zur Unter
scheidung von der allgemeinen, bei welcher alles Licht eine
Abschwächung in gleichem Maasse erfährt. Jedes Gas, jeder
Dampf hat sein besonderes Absorptions-Spectrum, welches
daher charakteristisches Merkmal wird und bei verschiedenen
sehr verschieden ausfällt, bei manchen einfach, wie bei Xatrium-
dampf, bei vielen andern höchst complicirt, wie bei Jod und
bei Brom, wo zahllose feine Linien in der auffallendsten Weise
*) Die Spectralbilder und einige noch folgende Holzschnitte sind
nach den Zeichnungen und Beobachtungen des berühmten englischen
Astronomen Huggins (Vergl. dessen Schrift über Spectralanalyse der
Himmelskörper) hergestellt worden.