Full text: Wie Leibniz die Diskontierungsformel begründete

Wie Leibniz die Diskontierungsformel begründete. 
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Auch speziell in Lehrbüchern der Lebensversicherungsrechnung vermißt 
man meistens einen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß die Berechtigung zur 
Anwendung des zusammengesetzten Zinses sich einfach auf die Geschäftspraxis 
des Versicherers gründet, welcher für alle in seinen Besitz gelangenden Summen 
ohne Ausscheidung derjenigen, die ihm als Zinsen zufließen, eine verzinsliche An 
lage sucht und findet 1 ). 
Nun giebt es aber Versicherungspläne, bei denen der Versicherer gar 
nicht in die Lage kommt, die Zinsen, die die eingezahlten Versicherungsprämien 
abwerfen, verzinslich anzulegen, weil er mit diesen Zinsen die Auszahlungen, zu 
denen er auf Grund der abgeschlossenen Versicherungsverträge verpflichtet ist, 
bestreitet. Als ein Versicherungsplan dieser Art erscheint z. B. die Versicherung 
einer sofort beginnenden Leibrente. Und doch bedient man sich in diesen und 
ähnlichen Fällen der üblichen Diskontierungsmethode. Daß dies zulässig ist, geht 
aus folgender Betrachtung hervor. 
Es seien a 0 , a t , a 2 usw. die Prämiensummen, welche von einer Gruppe 
von Versicherten am Anfang des 1., 2., 3. usw. Versicherungsjahres eingezahlt 
werden und b x , b 2 , b 3 usw. die Summen, welche an diese Gruppe bezw. anläßlich 
der in dieser Gruppe sich ereignenden Todesfälle am Ende des 1., 2., 3. usw. Ver 
sicherungsjahres von dem Versicherer ausgezahlt werden. Bezeichnet man noch mit 
R,, R 2 , R 3 usw. die Summen, die am Ende des 1., 2., 3. usw. Versicherungsjahres 
unter Berücksichtigung der genannten Ein- und Auszahlungen und der Verzinsung 
sich beim Versicherer ansammeln, so findet man: 
a 0 r—b t = R x 
(Rj -[- a x ) r—b 2 = R 2 
(Rra—1 3-m—l) I" Rn — Rin- 
1) Solch ein Hinweis findet sich z. B. bei René Poussin, Traité élémentaire des assurances 
sur la vie, Paris 1906. S. 156—157. Der Umstand, daß die Möglichkeit einer verzinslichen Anlage nicht 
bei jeder (beliebig kleinen) Geldsumme gegeben ist, sondern erst bei einem gewissen Minimalbetrag anfängt 
(vergl. darüber M. Cantor, Politische Arithmetik, S. 36—39 und A. L. Grelle, Ueber den Unterschied 
zwischen theoretischen und praktischen Zinsrechnungen, in seinem Journal, Bd. XLIX (1855), S. 349—366), 
kommt hierbei selbstverständlich gar nicht in Betracht. Denn der Einfluß dieses Umstandes ist angesichts 
des Umfanges der Operationen einer Versicherungsanstalt verschwendend klein. Ganz ohne praktische Be 
deutung ist auch die vielfach ventilierte Frage, ob man bei Jahresbruchteilen mit zusammengesetztem oder 
mit einfachem Zins rechnen soll. Vergl. Poterin du Motel, Théorie des assurances sur la vie, Paris 1899, 
S. 84. Was aber die prinzipielle Berechtigung zur Anwendung der Zinseszinsrechnung auf Lebensversiche 
rungsoperationen anlangt, so ist mir nur ein einziger Autor bekannt, der diese Berechtigung in Zweifel 
gezogen hat. Das ist Vilfredo Pareto, Cours d’économie politique. Lausanne 1896, I, S. 340—343. 
Vergl. meine Bemerkungen darüber in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung usw, 22. Jahrgang (1898), 
S. 100—101.
	        
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