714 Von den tönenden Körpern.
Denken wir uns dagegen die Zunge in der Röhre b’b”, Fig. 774, zwischen
dem Knoten k und dem Bauche b eingesetzt, so ist klar, daß die äußere
(nach unten gerichtete) Schwingung der Zunge 2 mit einer Verdünnung
der Luft zwischen b und % zusammenfallen muß. Während also die Zunge z
so steht, daß der obere Teil 2b’ der Röhre mit dem unteren 2b” kommuni-
ziert, ist die Luft unmittelbar über und unter 2 verdünnt; man kann also,
ohne die Schwingungen in dem Röhrenstücke 2b” zu beeinflussen, statt
des unteren Röhrenstückes 2b’ eine Windlade W, Fig. 775, ansetzen,
welche verdünnte Luft enthält; in diesem Falle aber muß sich in der
Röhre zunächst über der Zunge ein Knoten und erst jenseits desselben ein
Bauch bilden.
Für den Fall, daß die Luft in der Windlade verdünnt wird, ist also
während der äußeren Schwingung der Zunge das untere Ende der Luftsäule
2b’, Fig. 775, verdünnt und beschleunigt die Platte nach innen, während sie
durch ihre eigene Elastizität nach derselben Richtung beschleunigt wird.
Während der inneren Schwingung der Zunge aber ist die Luft im unteren
Ende der Röhre zb’ verdichtet, und beschleunigt die Platte gleich ihrer
eigenen Elastizität nach außen.
Da also hier der Einfluß der schwingenden Luftsäule stets in gleichem
Sinne auf die Zunge wirkt, wie deren eigene Elastizität, so muß sie
schneller schwingen, ihr Ton muß höher werden, als der Ton der isoliert
schwingenden Platte.
Wenn die Zunge gerade an der Stelle eines Bauches sich befindet, so
findet unmittelbar über derselben weder Verdünnung noch Verdichtung der
Luft statt, die stehenden Wellen der Luftsäule in der Röhre üben also in
diesem Falle weder einen beschleunigenden noch einen verzögernden Einfluß
auf die Vibrationen der Zungen aus, der Ton der Luftsäule ist unisono mit
dem der isoliert schwingenden Zunge.
$ 237. Die Labial- oder Lippenpfeifen. Eine zweite Art der Zungen-
werke wird durch membranöse elastische Platten gebildet, welche die
beiden Lippen eines schmalen Spaltes bilden und welche durch ihre Oszilla-
tionen den Spalt abwechselnd öffnen und schließen. Joh. Müller konstruierte
membranöse Zungenpfeifen in der durch Fig. 776 erläuterten Weise, indem
er auf ein rechtwinkelig zur Achse abgeschnittenes Rohr zwei Lappen von
vulkanisiertem Kautschuk so aufband, daß nur ein schmaler Spalt zwischen
ihnen frei blieb. Noch besser als diese sprechen solche membranöse Zungen-
pfeifen an, wie sie in Fig. 777 dargestellt sind. Das obere Ende des hölzer-
nen Rohres, in welches unten die Luft eingeblasen wird, ist von zwei Seiten
schräg abgeschnitten, wie man Fig. 778 sieht, so daß zwei ungefähr recht-
winkelige Spitzen zwischen den beiden schrägen Schnittflächen stehen bleiben.
Über die beiden Abdachungsflächen werden alsdann mit leichter Spannung
Streifchen von Kautschuk so gelegt, daß sie einen schmalen Spalt zwischen
sich lassen, und endlich mit einem Faden festgebunden.
Sehr leicht läßt sich eine membranöse Zungenpfeife auch in folgender
Weise herrichten: von einer Röhre dünnen vulkanisierten Kautschuks, welche
1 bis 2cm weit ist, schneide man ein 4 bis 5cm langes Stück ab und be-
festige es am Ende eines Glasrohres von entsprechender Weite, wie man
Fig. 779 sieht. Wenn man nun die Kautschukröhre an ihrem oberen Ende