Sechster Abschnitt. Anwendung der Differential-Rechnung usw. 407
baren Faden die Form des Bogens zu geben und ibn dann
auszuspannen; in diesem Zustande gestattet er die Vergleichung
mit einer Längeneinheit, was zur Bestimmung seiner Länge
führt; diese Länge wird auch als Länge des Bogens erklärt.
Diese Vorstellung läßt sich aber nicht analytisch ver
werten. Um daher den Begriff der analytischen Behandlung
zugänglich zu machen, bedarf er einer von jener Vorstellung
unabhängigen Definition, die aber notwendig zu der allein
direkt ausführbaren Messung gerader Linien zurückleiten muß.
Wir formulieren diese Definition folgendermaßen;
Ein Kurvenbogen besitzt dann eine Länge, wenn die Länge
eines von dem einen Endpunkte des Bogens zum anderen ver
laufenden Sehnenpolygons einem bestimmten Grenzwerte sich
nähert, sobald die Zahl der Seiten beständig wächst und jede,
einzelne Seite der Grenze Null zustrebt; dieser Grenzivert soll
dann als Länge des Kurvenbogens erklärt werden.
Der Nachweis, daß der Grenzwert besteht, sobald gewisse
Bedingungen erfüllt sind, fällt in das Gebiet der Integral
rechnung. Wir nehmen für die Kurven, welche wir in Betracht
ziehen werden, diesen Grenzwert und somit den Begriff der
Länge als vorhanden an.
154. Das Bogendifferential in rechtwinkligen
Koordinaten. Es sei
(1) y = f\ x )
die Gleichung einer gegebenen, auf rechtwinklige Koordinaten
bezogenen Kurve MC (Fig. 68); die Länge s des Bogens M 0 M,
welcher von einem festen Punkte M 0
und einem variablen Punkte M mit der
Abszisse x begrenzt wird, ist eine ein
deutige Funktion von x:
(2) s = F(x).
Obwohl wir diese Funktion nicht kennen,
sind wir imstande, ihren Differential-
quotienten in bezug auf x auf Grund der Gleichung der Kurve
zu bestimmen.
Der Abszisse x -j- h = OP' entspreche der Punkt M' der
Kurve und der Bogen MM' = z/s sei eiförmig gekrümmt in