Zweiter Abschnitt. Differentiation von Funktionen einer Variablen. 45
Der Differenzenquotient erfordert zu seiner Bildung zwei
Stellen aus dem Bereich der Funktion; läßt man die zweite
Stelle x -\-h unaufhörlich der ersten, h also dem Grenzwerte
Null sich nähern, so nähert sich vermöge der Stetigkeit von
f(x) auch der Zähler der Grenze Null; man hat es dann mit
dem Quotienten zweier unendlich klein werdenden Größen zu
tun, welcher je nach der Ordnung dieser Größen entweder
einer bestimmten von Null verschiedenen Grenze, oder der
Grenze 0, oder der Grenze oo (mit bestimmtem oder unbe
stimmtem Vorzeichen) zustrebt oder auch unbestimmt bleibt-
In den drei erstgedachten Fällen, wo ein Grenzwert im (weite
sten Sinne des Wortes) existiert, nennt man diesen Grenzwert
den Differentialquotienten, die Ableitung oder die Derivierte der
Funktion f(x) an der Stelle x\ er ist ein Maß für die Stärke
der Änderung der Funktion an dieser Stelle.
Es sind jedoch drei verschiedene Arten des Grenzüber
ganges von h zu unterscheiden, nämlich
I. lim h — -f 0
II. lim h = — 0
III. lim Ti = + 0.
Der Grenzwert, der bei dem Grenzübergange I. zustande kommt,
wird der rechte Differentialquotient genannt; sein Wert sei X';
der aus dem Grenzübergange II. resultierende heißt der linke
Differentialquotient; sein Wert sei X". Ist nun X'=f= X", so
müssen diese beiden Differentialquotienten wohl voneinander
unterschieden werden und der Grenzübergang III. wird illusorisch.
Dieser Fall gehört jedoch zu den Ausnahmen; die Regel ist
vielmehr, daß X'=X"- dann aber brauchen die beiden Grenz
übergänge I. und II. nicht voneinander unterschieden zu werden;
an ihre Stelle tritt der Grenzübergang III. und der durch den
selben gewonnene Grenzwert X soll vollständiger oder eigent
licher Differentialquotient oder Differentialquotient schlechtweg
genannt werden.
In der Folge wird also, wenn von dem Differential
quotienten einer Funktion an einer Stelle ihres Bereiches ge
sprochen wird, immer der durch den Grenzübergang III. ge
wonnene, also