Full text: Einführung in die höhere Mathematik

98 Elemente der Differentialrechnung. § 1. Der Differentialquotient usw. 
an dieser Stelle ändert, wenn sich die Variable x gleichmäßig mit der 
Geschwindigkeit 1 ändert 1 ). 
2. Man betrachte x als Abszisse und f(x) = y als Ordinate eines 
Punktes M in einem rechtwinkligen Koordi 
natensystem; während x das Intervall («, ß) 
durchläuft, beschreibt M eine Kurve AB, 
Fig. 28. Die den Abszissen OB = x und OB' 
= x -f- h entsprechenden Punkte haben die 
Ordinaten BM = /{x)> B'M' = f{x -j- h) und 
bestimmen eine Sekante, deren Richtung durch 
den Winkel QMS = cp festgelegt werden möge; 
dann ist 
f( x + = t gcp. 
Konvergiert h gegen die Grenze Null, so nähert sich M' längs der 
Kurve dem Punkte M, und die Gerade MS dreht sich dabei um den 
Punkt M. Die Aussage, der Differenzenquotient konvergiere dabei 
gegen eine bestimmte Grenze, ist gleichbedeutend mit der Aussage, 
die Sekante nähere sich einer Grenzlage; die Grenzgerade MT nennt 
man die Tangente der Kurve im Punkte ilf; wird ihre Richtung durch 
Angabe des Winkels QMT = a beschrieben, so hat man für diesen 
lim/(» + *)~/W _ tg, 
h = 0, 11 
Ist also y = fix) die auf ein rechtwinkliges Koordinatensystem be 
zogene Gleichung einer Kurve, so hat der zu einer Stelle x gehörige 
Bifferentialquotient f (x) die Bedeutung der trigonometrischen Tangente 
jenes Winkels, den die Tangente der Kurve in dem zur Abszisse x ge 
hörigen Bunkte mit der positiven Bichtung der Abszissenachse einschließt 2 ). 
Die Existenz eines eigentlichen Differeutialquotienten an der Stelle 
x, oder, was dasselbe besagt, die Übereinstimmung des rechten und 
linken Differentialquotienten hat die geometrische Bedeutung, daß sich 
Sekanten, welche die Kurve rechts von M schneiden, derselben Grenz- 
1) Von Betrachtungen dieser Art ist J. Newton bei der Begründung der 
Infinitesimalrechnung (erste Publizierungl687 in den Principia mathematica philoso 
phiae naturalis) ausgegangen; an die Vorstellung des Yerfließens der Zeit an 
knüpfend nannte er die Variablen Pluenten und die Änderungsgeschwindigkeiten 
Fluxionen, die Infinitesimalrechnung Fluxionskalkül. Newtons Bezeichnung für 
y 
den Differentialquotienten von y = f{x) ist — und erklärt sich aus obiger Dar 
legung. 
2) Das Problem der Tangentenbestimmung einer ebenen Kurve bildete bei 
Leibniz den Ausgangspunkt für die Erfindung der Differentialrechnung (erste 
Publizierung 1684 in den Leipziger Acta eruditorum), der er auch den Namen 
gegeben.
	        
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