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Der Zahlbegriff. § 1. Reelle Zahlen.
die Notwendigkeit einer neuerlichen Erweiterung des bisherigen Zahl
begriffs ein, und diese soll zunächst wieder formal in der Weise ge
schehen, daß man das Symbol (1) immer, also auch dann als eine
Zahl erklärt, wenn a nicht die nie Potenz einer (positiven) rationalen
Zahl ist.
Es handelt sich nun darum, die so eingeführten neuen Zahlen
mit den rationalen in eine Beziehung zu bringen. Der hierzu führende
Gedankengaug soll zunächst durch Betrachtung einer speziellen Auf
gabe vorbereitet werden.
Das Symbol y2 verlangt die Bestimmung einer Zahl, die zum
Quadrat erhoben 2 gibt. Daß keine rationale Zahl dieser Forderung
entsprechen kann, ist so zu erkennen. Wäre ~ eine solche — sie
kann in der reduzierten Form vorausgesetzt werden —, so müßte
p 2 = 2 q 2 sein; dies hätte einerseits die Teilbarkeit von p 2 durch 2,
anderseits die Teilbarkeit von 2 durch p 2 , also p 2 = 2 und q 2 = 1 zur
Folge; nun ist aber 2 nicht das Quadrat einer ganzen Zahl, somit
die obige Annahme hinfällig.
1. Die durch das Symbol }/¥ ausgedrückte Forderung bewirkt
demnach eine Scheidung der (positiven) rationalen Zahlen in zwei
Klassen A, JB in der Weise, daß alle Zahlen der ersten Klasse ein
Quadrat kleiner als 2, alle Zahlen der zweiten Klasse ein Quadrat
größer als 2 geben; infolgedessen ist auch jede Zahl der Klasse A
kleiner als jede Zahl aus B.
Es gibt aber in der Klasse A keine größte und in der Klasse B
keine kleinste Zahl.
Denn ist x eine Zahl aus A, also x 2 < 2, so läßt sich ein posi
tives h so bestimmen, daß auch (x -f- h) 2 < 2 wird; denn aus
2hx<C 2hx + h 2 < 2 — x 2
^ ^ t 2 Qß ^
folgt h < ^ , und jede rationale Zahl zwischen x und x-\ —
ö 2.x ’ J ' 2x
2 | • • t
= ^ gehört auch zur Klasse A. Und ist y eine Zahl der Klasse B,
also y 2 > 2, so läßt sich die positive Zahl Je so bestimmen, daß auch
(;y — Ti) 2 > 2 wird; denn aus
folgt Ti <
2 y
2ky < y 2 — 2 + Tc 2 < y 2 — 1
, und jede rationale Zahl zwischen y
y*~ 1
2 y
y 2 +i
2 y
und y gehört auch zur Klasse B.
Nach einer von R. Dedekind 1 ) eingeführten Ausdrucksweise be
wirkt also die Forderung ]/2 einen Schnitt im System der rationalen
Zahlen, durch welchen eine neue, diesem System nicht angehörige
Zahl vollkommen bestimmt erscheint, eben die durch das Symbol
|/2 definierte Zahl.
1) Stetigkeit und irrationale Zahlen, 1. Aufl. 1872, 3. Aufl. 1905.