56 Der Funktionsbegriff. § 1. Funktionen einer und mehrerer Variablen.
dem Wechsel der Erscheinungen, die uns umgeben, zu folgen. War,
so lange man nur mit festen Zahlen operierte, nur die mathematische
Beschreibung einzelner Zustände möglich, so setzt uns der Funktions
hegriff in den Stand, den ganzen Verlauf einer Erscheinung mathe-
mathisch zu fassen.
In seiner einfachsten Form trat der Funktionshegriff auf, als
Fermat und Descartes die Methode der arithmetischen Behandlung
geometrischer Linien einführten. Durch die
Beziehung einer gesetzmäßig erzeugten Linie
auf ein rechtwinkliges Koordinatensystem
XOY, Fig. 7, ist jedem ihrer Punkte, wie M 7
ein Zahlenpaär x, y zugeordnet, x die Maßzahl
der Abszisse OP, y die Maßzahl der Ordinate
OQ bezüglich einer festgesetzten Längenein
heit OE.
Sobald x als veränderlich angesehen wird,
nimmt auch y den Charakter der Variabilität an, und der Wert von y
ist abhängig von dem Werte des x\ die Kurve vermittelt die Zu
ordnung der Werte von x und y.
Was die Linie geometrisch leistet, kann eine Gleichung zwischen
x und y arithmetisch bewirken; erteilt man in ihr dem x nach und
nach verschiedene Werte, so liefert die Auflösung der Gleichung die
zugeordneten Werte von y.
Dem Anscheine nach wäre die geometrische Darstellung des
Zusammenhangs der arithmetischen überlegen, weil sie sozusagen
mit einem Schlag den ganzen Verlauf der Zuordnung überblicken
läßt. Aber selbst abgesehen davon, daß alles Anschauliche nur ein
angenähertes Bild des innerlich Gedachten zu geben imstande ist, wird
sich bald die Überlegenheit der arithmetischen Darstellung in allen
Belangen herausstellen.
39. Funktionen einer Variablen. I. Es sei f{x) ein durch
arithmetische Operationen gebildeter Ausdruck, der außer festen oder
festzusetzenden Zahlen — Konstanten — die Variable x enthält; sein
von x abhängiger Wert heiße y\ dann drückt der Ansatz
V = f{%) (1)
die Zuordnung zwischen x und y aus. Man nennt y eine Funktion x )
1) Das erste Auftreten des Wortes functio in der Bedeutung der Abhängig
keit, allerdings noch in geometrischem Sinne, ist bei Leibniz (1692) nach
gewiesen. Die erste Definition im heutigen Sinne gab (1718) Johann Bernoulli.
Er erkannte auch schon die Notwendigkeit allgemeiner Funktionsbezeichnungen,
und vor Mitte des 18. Jahrhunderts wurden solche fast gleichzeitig (1786) von
Clairaut und (1740) von L. Euler vorgeschlagen; von letzterem stammt die
typisch gewordene Schreibweise f{x).