Full text: Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung (2. Band)

344. Auffassung und Lösung einer Differentialgleichung erster Ordnung 357 
Infinitesimale Betrachtungen, wie sie in der Geometrie, in der Mecha 
nik und anderen angewandten Gebieten angestellt werden, führen zu 
Differentialgleichungen. Es erweist sich nämlich häufig als durchführbar, 
die Eigenschaften eines geometrischen Gebildes anzugeben, wenn man 
sich auf einen sehr engen Bereich beschränkt, oder die Gesetze eines zeit 
lichen Vorgangs mathematisch auszudrücken, wenn man seinen Verlauf 
während einer infinitesimalen Zeitdauer ins Auge faßt. Ist dies gelungen, 
so ist das betreffende geometrische, mechanische, physikalische, statisti 
sche o. dgl. Problem auf das mathematische Gebiet und zwar auf das Ge 
biet der Differentialgleichungen übertragen, wo nuu die Aufgabe gelöst 
wird, die Eigenschaften des geometrischen Gebildes in seiner ganzen räum 
lichen Ausdehnung, die Gesetze des Vorgangs in seinem ganzen zeitlichen 
Verlauf zu erforschen. Hierin liegt die große Bedeutung der Differential 
gleichungen für die angewandten Gebiete. 
In geschichtlicher Beziehung sei bemerkt, daß die Differentialglei 
chungen im Grunde genommen gleichzeitig mit der Infinitesimalrechnung 
aufkamen; denn die Forderung, eine gegebene Funktion f(x) zu integrieren, 
drückt sich in der einfachsten Differentialgleichung aus: ~ — fix). Die 
Aufgabe, eine Differentialgleichung zu lösen, hat im Laufe der Zeit ver 
schiedene Auslegungen erfahren; die Schwierigkeiten, welche manche 
Gleichungen der jeweils geltenden Auffassung bereiteten, gaben Anlaß zu 
einer neuen Auffassung. So hat sich ein Fortschritt von ursprünglich spe 
ziellen zu immer allgemeineren Auslegungen des Lösungsproblems voll 
zogen. 
A. Gewöhnliche Differentialgleichungen. 
§ 1. Differentialgleichungen erster Ordnung. Allgemeines. 
344. Auffassung und Lösung einer Differentialgleichung 
erster Ordnung. Eine gewöhnliche Differentialgleichung erster Ord 
nung hat die allgemeine Form 
/'(>, V, y') = 0; (1) 
wesentlich ist dabei jedoch nur das Auftreten von y ; x oder y oder beide 
zugleich brauchen nicht explizite vorzukommen. 
Die Gleichung lösen heißt alle Funktionen y von x bestimmen, welche 
nebst ihrem Differentialquotienten y sie identisch befriedigen.
	        
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