360 V. Abschnitt. § 1. Differentialgleichungen erster Ordnung. Allgemeines
nächst trifft, ein drittes Linienelement der Richtung y 2) usw. Das auf
diese Weise konstruierte Polygon nähert sich hei Abnahme aller Inter
valle («//, y i+1 ) gegen Null einer Kurve als Grenze, welche mit ihren
Punkten und den Tangenten in denselben der Gleichung (1) genügt, folg
lich eine Lösung dieser Gleichung bildet. Mit Rücksicht auf die Schluß
bemerkung des vorigen Artikels wird eine solche Kurve als Integralkurve
der genannten Gleichung bezeichnet.
Da jeder Punkt der Kurve (y Q ') zum Ausgangspunkte der Konstruk
tion genommen werden kann, so gibt es der Integralkurven ein einfach
unendliches System und seine Gleichung wird sich auf die Form,
F(x, y, G) = 0 (2)
bringen lassen; der veränderliche Parameter G, dessen Einzelwerte die
Partikidarintegrale individualisieren, heißt die willkürliche (auch Integra-
tions-) Konstante und die Gleichung (2) das allgemeine oder vollständige
Integral der Gleichung (1); sie stellt die allgemeinste Beziehung zwischen
x und y vor, welche mit der Differentialgleichung (1) im Einklänge steht 1 ).
Umgekehrt, ist ein einfach unendliches Kurvensystem durch die
Gleichung F{x, y, a) = 0 (3)
mit dem veränderlichen Parameter a gegeben, so existiert eine Differen
tialgleichung erster Ordnung, welche dem Systeme entspricht. Sie wird
dadurch erhalten, daß man aus (3) durch Differentiation in bezug auf x
die weitere Gleichung ¿j?
dl + dy y ' ^ 0 W
ableitet und zwischen beiden den Parameter a eliminiert; das Resultat
dieser Elimination, von der allgemeinen Form
f(%, V, V) = 0, (5)
ist die besagte Differentialgleichung. Sie drückt die Beziehung aus, welcher
alle Linienelemente des Kurvensystems (3) Genüge leisten, und heißt die
Differentialgleichung dieses Kurvensystems.
1) Es sei ausdrücklich vermerkt, daß die eben vorgeführte Betrachtung nur
dazu dient, begreiflich zu machen, wie eine Integralkurve zustande kommen kann
und daß zu einer Differentialgleichung erster Ordnung eine einfach unendliche Schar
solcher Kurven gehört. Ein Beweis für das Vorhandensein eines Integrals ist
darin nicht gelegen. Auf solche Existenzbeweise kann hier nicht eingegangen
werden. Man findet die darauf bezügliche Literatur bei P. Painleve, Encykl, der
math. Wissensch., Bd. II, p. 189 ff.