Full text: Gesammelte mathematische Werke (3. Band)

Aus dem Nachlaß. 
LX. 
Im Hause des Prof. Hoeck, in Gegenwart von Hoeck, Gauß, 
Weber, Waitz, 
Über 
die Einführung neuer Funktionen in der Mathematik. 
(Gehalten am 30. Juni 1854.) 
Es ist zuerst erforderlich, einige Worte über den Sinn dieser 
Überschrift zu sagen. 
Diese Vorlesung hat nicht etwa, wie man vielleicht die Über 
schrift deuten könnte, die Einführung einer bestimmten Klasse neuer 
Funktionen in die Mathematik, sondern vielmehr allgemein die Art 
und Weise zum Gegenstände, wie in der fortschreitenden Entwicklung 
dieser Wissenschaft neue Funktionen, oder, wie man ebensowohl sagen 
kann, neue Operationen zu der Kette der bisherigen hinzugefügt 
werden. Es ist leicht zu sehen, daß in dieser Auffassung das gewählte 
Thema eine Eigentümlichkeit bei dem systematischen Aufbau der 
Mathematik betrifft, eine Eigentümlichkeit, welche in mehr oder 
weniger ähnlicher Weise wohl in allen Wissenschaften wiederkehren 
wird. Möge es mir daher vergönnt sein, einige allgemeine Be 
merkungen vorauszuschicken, um dann auf die Mathematik und zuletzt 
auch auf sehr spezielle Teile derselben zurückzukommen. 
Findet man die Hauptaufgabe einer jeden Wissenschaft in dem 
Streben nach Ergründung der Wahrheit, und zwar der Wahrheit, 
die entweder ganz außer uns, oder doch, wenn sie sich auf uns 
bezieht, nicht unsre willkürliche Schöpfung, sondern eine von unserm 
Zutun unabhängige Notwendigkeit ist, so erklärt man damit die letzten 
Resultate, das letzte Ziel, dem man sich allerdings meist nur annähern 
kann, für unwandelbar, für unveränderlich. Dagegen ist die Wissen 
schaft selbst, welche den Gang der menschlichen Erkenntnis bis zu 
diesen Resultaten hin repräsentiert, einer unendlichen Mannigfaltig 
keit, unendlich verschiedener Darstellung fähig, weil sie als das Werk 
des Menschen seiner Willkür unterworfen und von allen Unvollkommen
	        
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