Full text: Gesammelte mathematische Werke (3. Band)

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verfährt in diesem Stücke anders, und das ist auch der Kern Ihrer 
Differenz mit Euklid. Euklid denkt sich eine Grösse durch das 
Mass einer scharf definirten Linie bestimmt, und unter diesem Ge 
sichtspunkt kann er Linien aufweisen, die zu einer gewissen Linie 
in einem Verhältnisse stehen, das nicht durch zwei ganze Zahlen aus 
gedrückt werden kann“. Es folgt dann die Besprechung des Bei 
spiels vom Verhältnisse der Diagonale zur Seite des Quadrats, dessen 
Irrationalität (im modernen Sinne) auch ich in meiner Schrift (S. 16) 
als etwas den alten Griechen Bekanntes erwähnt habe. Seit meinem 
dreizehnten oder vierzehnten Jahre kenne ich Euklid und bewundere 
ihn, und ich sehe auch jetzt nicht ein, inwiefern ich mich mit ihm 
in einer Differenz befinde; auch habe ich in meinem letzten Briefe 
ausführlich von seiner Behandlung der incommensurabelen Größen 
gesprochen, ohne jede Einwendung gegen sein Verfahren, so daß ich 
die im Obigen von Ihnen mir zugeschriebene Absicht wohl mit Recht 
in Abrede stellen darf. Euklid kann seine Definition gleicher Ver 
hältnisse auf alle Größen anwenden, die ihm in seinem System ver 
kommen, d. h. deren Existenz aus guten Gründen ersichtlich ist, 
und dies reicht für Euklid vollständig aus. Für denjenigen Zweck 
aber, welcher die Arithmetik auf dem Begriffe des Größen-Verhält 
nisses aufbauen will (was Euklid’s Absicht nicht gewesen ist), ge 
nügt dies durchaus nicht; da vielmehr die Vollständigkeit des Zahl 
begriffs bei dieser Begründung der Arithmetik lediglich von der 
Vollständigkeit des Größen-Begriffs abhängt, und da die stetige Voll 
ständigkeit der reellen Zahlen für den wissenschaftlichen Aufbau der 
Arithmetik unentbehrlich ist, so ist unerläßlich von vorneherein 
genau zu wissen, wie vollständig das Gebiet der Größen ist, weil 
Nichts in der Mathematik gefährlicher ist, als ohne genügenden 
Beweis Existenzen anzunehmen und zwar erst dann, wenn die Noth, 
das augenblickliche Bedürfniß es gebeut. Woran sollen die erlaubten 
Existenz - Annahmen erkannt und von den unzähligen unerlaubten 
unterschieden werden, wie z. B. von der Annahme der Existenz einer 
Größe A, welche das Doppelte von B und zugleich das Dreifache 
von der Hälfte von B ist? Soll dies nur von dem Erfolge, von dem 
zufälligen Gewahrwerden eines inneren Widerspruchs abhängig ge 
macht werden? Wenn nun Euklid weitergehende Untersuchungen 
beabsichtigt hätte, als es in Wahrheit der Fall war, nämlich solche, 
bei denen die Stetigkeit eine wesentliche Rolle spielt, und wenn
	        
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