Full text: Gesammelte mathematische Werke (3. Band)

478 
in den Handschriften sich unter den Definitionen oder Axiomen des 
fünften Buches der obige Passus (D) dem Inhalte nach yorfände, so 
bin ich der Meinung, es würde Niemand denselben für überflüssig 
oder selbstverständlich erklären; vielmehr glaube ich, daß dann unter 
denjenigen, welche die Arithmetik auf dem Begriffe der Zahl als 
Größen-Yerhältniß aufbauen wollen, sich gewiß schon Jemand ge 
funden hätte, der erkannt und gesagt hätte: „Mit dieser präcis 
definirten Vollständigkeit des Größen - Begriffs ist auch die Voll 
ständigkeit des Zahlbegriffs gegeben, welche zum strengen Aufbau 
der Arithmetik der reellen Zahlen ausreichend und unentbehrlich ist.“ 
Und ich glaube, wir besäßen in diesem Falle bessere Lehrbücher der 
Arithmetik, als die wir wirklich haben. Aber Euklid schweigt voll 
ständig über diesen, für die Arithmetik wichtigsten Punct, und deshalb 
kann ich Ihrer Ansicht nicht zustimmen, daß bei Euklid die voll 
ständigen Grundlagen für die Theorie der irrationalen Zahlen zu 
finden seien. Wenn Euklid es nicht für überflüssig hält, in der 
Erklärung des fünften Buches, die Sie in Ihrem vorletzten Briefe 
lateinisch angeführt haben, eine so einfache Eigenschaft der Größen 
namhaft zu machen, so würde er den viel complicirteren Charakter (D) 
der Stetigkeit ganz gewiß in seiner Art ebenfalls definirt haben, wenn 
er desselben in seinem System bedurft hätte. Sie sagen dagegen, 
diese Vollständigkeit oder Stetigkeit sei selbstverständlich und brauche 
also nicht ausgesprochen zu werden, kein Mensch könne sich eine 
Linie ohne dieselbe, also ohne die obige Eigenschaft (C) denken. 
Obgleich dies Heranziehen der Geometrie zur Begründung der 
reinen Arithmetik, wie Sie im voraus vermutheten, ganz gegen meine 
Neigung ist, so will ich mich doch jetzt selbst auf diesen Standpunct 
stellen; aber auch dann kann ich Ihnen nicht beistimmen; ich kann 
mir den ganzen Raum und jede Linie in ihm, wie ich schon am 
Schlüsse des § 3. meiner Schrift hinter (C) bestimmt ausgesprochen 
habe, durchweg unstetig vorstellen; ein zweiter Mensch dieser 
Art wird wohl Herr Prof. Cantor in Halle sein, wenigstens 
scheint dies aus seiner von mir citirten Abhandlung hervorzugehen; 
und ich sollte meinen, jeder Mensch kann dasselbe. Man wird 
mir vielleicht entgegnen, daß ich mich über mein räumliches Vor 
stellungsvermögen täusche, daß nämlich Jeder, der den stetigen 
Raum zu denken fähig ist, eben deshalb unfähig sein müsse, den 
Raum sich als unstetig vorzustellen, weil von vorneherein im Raum
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.