Full text: Abhandlungen (1888 - 1902) und Reden (3. Band)

REDE AM 3. AUGUST 1900. 
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Zeiten verstand man es, durch Anwendung von Cirkel und Lineal die Kreis 
peripherie in drei, vier, fünf, fünfzehn gleiche Theile zu theilen und ebenso 
in eine Anzahl, w r elche durch wiederholte Verdoppelung dieser Zahlen ent 
steht. Es hat dann während zweitausend Jahren kein Fortschritt in der 
Frage der Kreistheilung stattgefunden, bis Gauss an der genannten Stelle 
das Problem zur Entscheidung brachte, durch welche Zahlen die Anzahl der 
Theilpunkte bestimmt sein müsse, damit die Theilung mit Cirkel und Lineal 
ausführbar sei. Und welches war der Weg, der ihn zu dieser Entdeckung 
führte? Es war das Studium der imaginären Wurzeln der Einheit, 
eine Untersuchung, welche für die Algebra und die Zahlentheorie des XIX. 
Jahrhunderts von mächtigem Einflüsse geworden ist, und welche als eine ihrer 
unmittelbaren Früchte die Lösung des bezeichneten Problems der Kreistheilung 
lieferte. Gab da der Gewinn, welchen die Anwendung der sogenannten ima 
ginären Grössen für das reale Gebiet der Geometrie abgeworfen hatte, nicht 
Anlass genug, den Schleier, welcher jene Grössen umgab, zu zerreissen? 
Nicht weniger aber gab eine andere Gelegenheit einen Anstoss zum 
Nachdenken über das Wesen der imaginären Grössen. Die Königl. Societät 
der Wissenschaften zu Kopenhagen hatte in den zwanziger Jahren des XIX. 
Jahrhunderts die für die Kartenprojectionen und die höhere Geodäsie funda 
mentale Preisaufgabe gestellt: »die Theile einer gegebenen Fläche auf einer 
anderen gegebenen Fläche so abzubilden, dass die Abbildung dem Abgebildeten 
in den kleinsten Theilen ähnlich sei«. 
In einer Abhandlung, welche der Lösung dieser Aufgabe gewidmet [9 
ist, zeigte Gauss, dass dieselbe mit Notwendigkeit zur Anwendung von Func 
tionen einer complexen Yariabeln führt, welche wir heutzutage als monogene 
oder analytische Functionen zu bezeichnen pflegen. Hier zeigte sich von 
Neuem die Wirkung der sogenannten imaginären Grössen auf die Welt des 
Realen, und somit die Ungebühr, die Realität jener Grössen in Abrede zu 
stellen. In der That führt Gauss in der genannten Schrift vom Jahre 1831 
die eben bezeichnete Abbildungsaufgabe als einen der Impulse zu der von 
ihm unternommenen Rechtfertigung der complexen Grössen an. 
Man darf es wohl sagen, dass die gewaltigen Fortschritte, ‘welche die 
Analysis im XIX. Jahrhundert gemacht hat, wesentlich dem Umstande zu 
verdanken sind, dass man abweichend von den Speculationen früherer Zeiten 
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