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REDE AM 3. AUGUST 1900.
manns nicht, dass in der Begründung der von ihm hierbei verwendeten Prin
cipien Lücken vorhanden waren, welche erst später von anderen Mathematikern
ausgefüllt worden sind.
Wenn veränderliche Grössen in functionalen Beziehungen stehen, so ver
langen wir von einer Darstellung dieser Beziehungen durch analytische Aus
drücke zunächst, dass sie für den ganzen durch die Natur der Beziehungen
begrenzten Bereich der Veränderlichen gültig sei.
In analytischer Hinsicht ist an eine solche Darstellung die weitere For
derung zu stellen, dass aus derselben das Gesetz der Abhängigkeit der Ver
änderlichen, d. h. die fundamentalen Eigenschaften dieser Abhängigkeit un
mittelbar abgelesen werden können.
Ich lasse die grossen Schwierigkeiten ausser Acht, welche zur Gewinnung
einer solchen Darstellung zu überwinden sind. Es muss jedoch hervorgehoben
werden, dass die Darstellung erst möglich wird, wenn der functionale Zu
sammenhang bereits begrifflich in seinem ganzen Umfange erfasst ist, sodass
die Darstellung für die Erkenntniss der dargestellten Functionen wesentlich
neues nicht liefert.
i8] Grösser ist der Werth der analytischen Formeln, welche functionale Be
ziehungen darstellen, in der Anwendung auf practische Probleme, nämlich
da, wo es sich um die numerische Berechnung von Grössen handelt, welche
bei Versuchen oder Beobachtungen zu ermitteln sind; wie beispielsweise in
der Astronomie bei der Bestimmung der Elemente der Bahn eines Himmels
körpers aus gewissen Beobachtungsdaten. Aber in den Anwendungen wird
an eine analytische Darstellung noch die dritte Forderung gestellt, dass sie
sich einer raschen Convergenz erfreue.
Wird die Abhängigkeit von Grössen, welche sich in der Natur gegen
seitig bedingen, durch mathematische Hülfsmittel, wie durch Differential
gleichungen gebunden, so spiegelt sich das Gesetz dieser Abhängigkeit schon
in dem begrifflich ffxirten Zusammenhänge der den Differentialgleichungen
genügenden Quantitäten ab, wie zahlreiche Probleme der mathematischen Phy
sik, insbesondere in den Anwendungen der Potentialtheorie beweisen. Es sei
mir gestattet, an einem einfachen Beispiele den ausgesprochenen Gedanken
zu erläutern. Die Lage und die Geschwindigkeit eines schweren Punktes, der
sich auf einem verticalen Kreise bewegt, (die sogenannte Pendelbewegung) in