Full text: [Wahrscheinlichkeitsrechnung und Geometrie] (4. Band)

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NACHLASS. 
zustand her. Zu der Zeit also, wo die Witwenzahl in der idealen Gesellschaft das Maximum l 3oo ganz 
oder fast ganz erreicht haben würde, wird in dei* wirklichen ein Auf- und Ahschwanken über und unter 
diese Zahl hinaus, Statt finden. Es werden zu einer Zeit 1 350, auch wohl 1 360, da sein können, zu einer 
andern 1250 , auch wohl nur 12 40. Allein ganz unmöglich ist es, hier scharfe Grenzen zu setzen, und 
von irgend einer Zahl, man wähle welche man wolle, mit Bestimmtheit zu behaupten, dass diese zwar noch 
erreicht, die nächst höhere aber nicht mehr erreicht werden könne. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung, in 
ihrem heutigen Zustande, lehrt solche Schwankungen auf ein bestimmtes Maass zurückführen, welches aber 
nicht von dem Extrem hergenommen wird, sondern von der Berücksichtigung aller Zwischenstufen und ih 
rer relativen Wahrscheinlichkeit. Natürlich ist hier durchaus nicht der Ort, diese Theorie weiter zu ver 
folgen ; auch hängt ihre Anwendbarkeit auf concrete Fälle davon ab, dass man entweder eine mathematisch 
präcise Kenntniss von den bedingenden Elementen habe (wie bei Glücksspielen z. B. gewöhnlich der Fall 
ist), oder dass ein zureichender Reichthum von Erfahrungen zu Gebote stehe. Beides trifft aber in Bezie 
hung auf solche Gegenstände, wie Witwenkassen sind, nicht zu, so dass a priori für eine solche Bemes 
sung nichts geschehen kann. Aber das lehrt doch die Theorie: aus den Schwankungen, die in einem Falle 
vorgekommen sind, auf diejenigen zu schliessen, die mit gleichem Recht in einem andern qualitativ glei 
chen aber quantitativ verschiedenen Falle erwartet werden müssen. Nach ihrer absoluten Grösse werden 
in einer grossen Gesellschaft die Schwankungen grösser sein, als in einer kleinen; nach der relativen aber 
wird es sich umgekehrt verhalten. Wenn also z. B. eine Gesellschaft von obigem Zuschnitt zu einer Zeit 
bis 6 0 Witwen mehr, zu einer andern bis 6 0 weniger AVitwen gezählt hätte, als die Durchschnittsgrösse 
1300 , so jedoch, dass die Zahl 1 360 , oder eine ihr nahe kommende, mit einiger Andauer vorgekommen 
wäre, und eben so die Zahl 1 2 40 oder eine ihr nahe liegende, so würde man schliessen dürfen, dass in 
einer andern Gesellschaft, die bei sonst ähnlichen Verhältnissen durchschnittlich nur 2 6 Ehepaare zählt, die 
Normalwitwenzahl eben so leicht um 6 vermehrt oder vermindert erscheinen könne. Oder, etwas anders 
ausgedrückt: Eben so gut, wie in der grossen Gesellschaft zwischen i 3 6 o unn 1240 , wird die AVitwenzahl 
in der kleinen zwischen 7 und 19 auf und abschwanken können; das absolute. Schwanken ist, wenn der 
Umfang der grossen Gesellschaft loo mal grösser ist wie der Umfang der kleinen, in der grossen zehnmal 
so gross wie in der kleinen; mit dem relativen Schwanken, welches in der grossen Gesellschaft (nach obi 
gen Zahlen) 4 T 8 g - Procent betragen würde und bei der kleinen 4 6 T 2 y Procent, verhält es sich gerade um 
gekehrt. 
So viel von der Sache. AVas den Namen betrifft, so habe ich, eben, für die Zahlen der Beispiele 
1300 und 13, anstatt der weitschweifigen Umschreibung‘Durchschnittszahl der AVitwen nach eingetretenem 
Beharrungszustande’ die Benennung ‘Normalwitwenzahl’ gebraucht, welche man leicht als nicht unpassend 
gelten lassen wird: aber üblich ist sie meines AA r issens nicht. Es ist vielmehr ganz gewöhnlich, jenen Be 
griff’kurzweg mit höchster Witwenzahl zu bezeichnen, wobei von den regellosen Fluctuationen ganz abstra- 
hirt, und nur der Beharrungszustand im Allgemeinen im Gegensatz zu der vorhergegangenen Zeit berück 
sichtigt wird. Für einen einigermaassen Sachverständigen wird hiebei ein Misverständniss nicht leicht mög 
lich sein; jedenfalls aber ist soviel gewiss, und aus dem Gutachten, wenn man es nur mit einiger Auf 
merksamkeit lieset, sogleich zu erkennen, dass Kritter in demselben die höchste AVitwenzahl in diesem Sinn 
und nur in diesem Sinn verstanden hat. P. hingegen dachte sich dabei etwas ganz anderes, nemlich die 
Zahl, über welche die Anzahl der Witwen nach höchster AA'ahrscheinlichkeit niemals sollte hinausgehen 
können. Beide Zahlen vermengen, ist ungefähr dasselbe, als wenn man den Durchschnittspreis eines Han 
delsartikels mit dem höchsten Preise verwechselte. Es ist hiedurch die oben S. [uo] unter 3 gemachte 
Ausstellung hinreichend bewiesen. AVas aber eine Frage nach der höchsten AAfitwenzahl im P.’sehen Sinne 
des Worts betrifft, so ist sie eine solche, auf welche eine bestimmte Antwort sich gar nicht geben lässt.
	        
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