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ANALYSIS. BRIEFWECHSEL.
Gauss an Schumacher,
[5.]
Göttingen, 1. September 1850.
[Briefwechsel zwischen Gauss und Schumacher VI, Altona 1865, S. 107.]
.... Indem ich eben im Begriff war, diesen Brief zu schliessen, erhielt ich
die von Ihnen übersandte PREHNSche Abhandlung [*)], von der ich doch erst
flüchtig Einsicht nehmen wollte. Darf ich mich offen gegen Sie aussprechen,
so glaube ich nicht, dass eine Heise des H[errn] Verfassers zu seiner Zufrieden
heit ausfallen würde. Meine Anforderungen an mathematische Argumentation
in Beziehung auf Strenge und Klarheit liegen in der That von denen des
Verfassers soweit entfernt, dass ich an einer gegenseitigen Verständigung zweifle;
wir stehen auf ganz verschiedenem Boden, wie Conservativer und Hadicaler.
Solche Gleichnisse hinken allerdings: in diesem Falle wäre ich der Hadi-
cale, der kein historisches Hecht anerkennt, sondern nichts ohne strengen
Beweis des Hechtstitel s] gelten lässt. Der Unterschied ist aber, dass im Leben
Conservativer und Radicaler ihre Ansprüche ä tont prix realisiren, in der
Wissenschaft aber die strengsten Forderungen nur zu unserer eigenen Be
friedigung gemacht werden, und man den andern, der sich mit laxen oder
unklaren Beweisen begnügen mag, gern gewähren lässt. Der eigentliche Kern
der Sache ist wie mir deucht folgender.
Es ist der Character der Mathematik der neueren Zeit (im Gegensatz
gegen das Alterthum), dass durch unsere Zeichensprache und Namengebungen
wir einen Hebel besitzen, wodurch die verwickeltsten Argumentationen auf
einen gewissen Mechanismus reducirt werden. An Reichthum hat dadurch
die Wissenschaft unendlich gewonnen, an Schönheit und Solidität aber, wie
das Geschäft gewöhnlich betrieben wird, eben so sehr verloren. Wie oft wird
jener Hebel eben nur mechanisch angewandt, obgleich die Befugniss dazu in
den meisten Fällen gewisse stillschweigende Voraussetzungen implicirt. Ich
fordere, man soll bei allem Gebrauch des Calculs, bei allen Begriffsverwen-
[*) Jeppe Prbhn, Über die Bedeutung der divergenten unendlichen Reihen, die Bestimmung ihrer
Werthe, und über die Zulässlichkeit ihrer Anwendung bei analytischen Rechnungen, Grelles Journal für
Mathematik 41 (185o), S. i, vergl. Berichtigungen, ebenda S. 364, die letzteren sind nach dem am 28. No
vember 18 50 erfolgten Tode des Verfassers erschienen.]