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A. GALLE, ÜBER DIE GEODÄTISCHEN ARBEITEN VON GAUSS.
XL Abschnitt. Flächentheorie.
47. Angestrengte theoretische Arbeiten. Die Reise wirkte infolge des über
mässig heissen Spätsommers nicht wohltätig auf die Gesundheit von Gauss,
und er kränkelte während des ganzen folgenden Winters 1 ). Nachdem die Preis
schrift im Herbst 1825 im Druck erschienen war, iing Gauss im Oktober an,
einen Teil der allgemeinen Untersuchungen über die krummen Flächen wieder
vorzunehmen, die die Grundlage seines projektierten Werkes über höhere
Geodäsie bilden sollten. Dieser so reichhaltige, wie schwierige Gegenstand')
liess ihn zu anderen Arbeiten zunächst garnicht kommen, und es war ihm sehr
angreifend, wenn Vormittags die Stunde des Kollegs kam, sich mit Frische
in die Sachen hineinzudenken, die er seinen Zuhörern vorzutragen hatte, und
dann wieder mit Lebendigkeit bei seinen Meditationen heimisch zu sein. Es
kam hinzu, dass die Nächte meist bis auf eine oder zwei Stunden schlaflos
waren, aber Olbers hatte wohl nicht Unrecht, wenn er die Beschwerden, die
Gauss empfand, mit den Wehen verglich, die so unangenehm und schmerz
haft sie auch seien, die Geburt eines stattlichen Heros ankündigten. Gauss
glaubte, bei seinen Untersuchungen sehr weit ausholen zu müssen, indem er
sogar seine Ansicht über die Krümmungshalbmesser bei ebenen Kurven vor
auszuschicken beabsichtigte. Es war ihm zweifelhaft, ob er die rein geome
trischen Teile von dem Werke abtrennen und in den Abhandlungen der Ge
sellschaft der Wissenschaften veröffentlichen sollte, beschloss aber vorerst
die Form der Bekanntmachung auf sich beruhen zu lassen und zunächst alles
zu Papier zu bringen 1 2 3 ). Gauss bekennt, kaum während einer Periode seines
Lebens so angestrengt gearbeitet zu haben, wie in diesem Winter, und er
glaubte, vergleichsweise auch nie so wenig reinen Ertrag geerntet zu haben.
Bei mathematischen Anstrengungen, wo nicht das Arbeiten, wie das Ver
fertigen eines Schuhs über einen gegebenen Leisten vollendet werden könne,
war dies nicht anders zu erwarten. Wochen ja Monate lang beschäftigte er
1) G.-E. 12. 3. 26., G.-B. Nr. 153.
2) »Man muss den Baum zu allen seinen Wurzelfäden verfolgen und manches davon kostet mir wochen
langes angestrengtes Nachdenken« (G.-Sch. Nr. 262).
3) G.-O. Nr. 591.