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A. GALLE, ÜBER DIE GEODÄTISCHEN ARBEITEN VON GAUSS.
Im Jahre 1805 und besonders in dem folgenden Winter begann er aber
die Theorie der Bewegung der Himmelskörper auszuarbeiten, die er 1806 in
deutscher Sprache vollendete. Die politische Lage Deutschlands und seine
eigenen Verhältnisse, die nach seiner Verheiratung im Jahre 1805 und vor der
Übersiedlung nach Göttingen (1807) wenig gesicherte und unruhige waren,
störten vielfach seine Arbeit, und ausserdem verzögerte die Schwierigkeit, einen
Verleger zu finden, die Drucklegung, bis 180 7 Perthes unter der Bedingung
der Abfassung in lateinischer Sprache den Verlag übernahm.
So kam es, dass das von Legendre 1806 herausgegebene Werkchen über
die Berechnung der Kometenbahnen *), das die Méthode des moindres carrés
enthält, früher erschien, als die erste von Gauss in der Theoria motus corporum
coelestium (Liber II, Sectio III) gegebene Darstellung der Methode der kleinsten
Quadrate (Werke VII, S. 236) ~). Während aber Gauss zu dieser Zeit bereits
die Begründung durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung 3 ), unter Annahme seines
Fehlergesetzes und des nun hieraus folgenden arithmetischen Mittels ‘als Grund
satz, gefunden hatte, ging Legendre nur von Zweckmässigkeitsrücksichten unter
Hinweis auf statische Analogien aus 4 ).
1) A. M. Legendre, Nouvelles méthodes pour la détermination des orbites des comètes avec un supplé
ment contenant divers perfectionnemens de ces méthodes et leur application aux deux comètes de 1805.
Paris 1806.
2) Vergl. über die verschiedenen Gelegenheiten, bei denen Gauss mit Legendre zusammengetroffen
ist, Stacker, Gauss als Geometer, Werke Xa, S. 20, Fussnote 5).
3) In der Theoria motus ist das nach Gauss benannte Fehlergesetz aufgestellt, das 1808 auch von
Adrain aus andrer Annahme entwickelt wurde.
4) Legendre fügt der Bestimmung einer parabolischen Kometenbahn aus drei Beobachtungen durch
seine Methode der unbestimmten Korrektionen folgende Bemerkung bei :
»Man muss dann, wenn alle Bedingungen des Problems passend ausgedrückt sind, die Koeffizienten
so bestimmen, dass die Fehler möglichst klein gemacht werden. Die Methode, die mir zu diesem Zwecke
die einfachste und allgemeinste zu sein scheint, besteht darin, die Summe der Quadrate der Fehler zu einem
Minimum zu machen. Man erhält dann ebensoviele Gleichungen, als unbekannte Koeffizienten vorhanden sind,
wodurch die Bestimmung aller Bahneleraente erreicht wird. Da die Methode, die ich Methode der kleinsten
Quadrate nenne, vielleicht von grossem Nutzen in allen Fragen der Physik und Astronomie sein kann, wo es
sich darum handelt, aus der Beobachtung die genauesten Ergebnisse, welche sie liefern kann, zu erhalten, so
habe ich im Anhang (S. (74)—(7 5)) besondere Einzelheiten hinzufügt und eine Anwendung auf die Meridian
messung in Frankreich gegeben«.
In diesem Anhang macht Legendre folgende Ausführungen:
»Wenn die Zahl der (linearen) Gleichungen die der Unbekannten übertrifft, tritt notwendig eine Will
kür bei der Verteilung der Fehler auf, und man darf nicht erwarten, dass alle Hypothesen zu genau den-