208 CLEMENS SCHAEFER, ÜBER GAUSS’ PHYSIKALISCHE ARBEITEN.
durch das System hindurch verfolgte; bisher führte man die gleichzeitige Be
nutzung dieser beiden Strahlsysteme auf eine Abhandlung von Ludwig Seidel 1 )
aus dem Jahre 1856 zurück.
102. Neben diesen dioptrischen Untersuchungen finden sich bei Gauss
über Fragen der eigentlichen physikalischen Optik nur fragmentarische Auf
zeichnungen und Briefstellen, die hier der Vollständigkeit halber noch be
sprochen werden müssen.
Eine erste Notiz aus dem Jahre 1811 betrifft die Versuche von Malus
über die Polarisation des Lichtes. Gauss schreibt darüber am 22. November
an Bessel 2 ): »Die schönen Versuche von Malus über das Ausbleiben einer
zweiten Reflexion bei dem Einfallswinkel 35° 25', wenn die beiden Ebenen, in
welchen die Reflexion geschieht und geschehen soll, auf einander senkrecht
sind, beschäftigen mich seit einigen Tagen. Malus hat jenen Winkel durch
Versuche bestimmt, wobei leicht eine Unsicherheit von \ Grad übrigbleiben
mag. Roh habe ich diese Versuche bereits wiederholt, und zwar mit glück
lichem Erfolg. Allein ich gedenke dies künftig mit mehr Genauigkeit zu tun,
um auszumitteln, mit welcher Genauigkeit jener Winkel bestimmt werden kann.
Sollte er, wie mir wahrscheinlich ist, nicht 35° 25', sondern 35° 16' sein, so
liesse sich Malus’ Entdeckung höchst elegant so darstellen: Licht kann nicht
zweimal reflektiert werden (von unbelegten Glasspiegeln), wenn diese die Seiten
flächen eines regulären Tetraeders sind, und jenes Licht zuerst senkrecht auf
eine dritte Seite desselben Tetraeders eingefallen war. Ich glaube, Malus’
Entdeckungen werden der erste Anfang zu vielen herrlichen Aufschlüssen über
die Natur des Lichtes sein.« Diese Stelle zeigt das grosse Interesse, das Gauss
der MALUsschen Entdeckung entgegenbrachte, aber gleichzeitig, dass der Mathe
matiker in ihm sozusagen mit dem Physiker durchging. Seine Bemerkung
über die mögliche Ungenauigkeit der MALusschen Bestimmung des Polarisa
tionswinkels ist zwar durchaus berechtigt, aber seine geometrische Einkleidung
des MALusschen Ergebnisses greift vollständig daneben: Gauss wusste noch
nicht — und konnte es nicht wissen — dass dieser Polarisationswinkel vom
Material des Spiegels abhängt — das BREWSTERSche Gesetz wurde erst 1815
aufgestellt —, womit seine Deutung sofort zusammenbricht. Übrigens ist die
1) L. Seidel, Denkschriften der Münchener Akad. d. Wissenschaften, Bd. 43, 18 56.
2) GaUSS-BESSEL, S. 16 4.
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