Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses.
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leicht, einmal, weil der Sprung von den Erscheinungen zu den Mole
külen ein so grosser ist; dann, weil bei allen Annahmen, die man
machen kann, es sehr schwer ist, sie durch strenge mathematische
Schlüsse zu verfolgen. Dennoch ist es gelungen, eine Theorie auf
der bezeichueten Grundlage aufzustellen, welche viele Eigenschaften
der Gase in befriedigender Weise darstellt und einen werthvollen
Leitfaden bei der weiteren Untersuchung dieser Eigenschaften ab-
giebt. Man muss dabei freilich oft zu Betrachtungen greifen, die in
Bezug auf Strenge manches zu wünschen übrig lassen. Wir werden
dabei zunächst die Dimensionen der Moleküle als unendlich klein
gegen alle Längen, die sonst in Betracht kommen, annehmeu, die
Moleküle also als Punkte betrachten, die bei demselben Gase gleich
artig sind; je zwei Moleküle sollen eine Auziehungs- oder Abstossuugs-
kraft auf einander ausüben, die bei wachsender Entfernung abnimmt;
auch die nächsten Moleküle sind aber der Regel nach so weit von
einander entfernt, dass die Kraft, mit der sie auf einander wirken,
sich nicht merklich macht; nur ausnahmsweise kommen zwei ein
ander so nahe, dass das der Fall ist; einen solchen Vorgang wollen
wir eine Collision, einen Zusammenstoss nennen; der Regel nach be
wegt sich daher, wenn keine fremden Kräfte wirksam sind, ein jedes
Molekül in gerader Linie mit gleichbleibeuder Geschwindigkeit; bei
einem Zusammenstoss mit einem anderen ändert sich in sehr kurzer
Zeit die Grösse und die Richtung seiner Bewegung.
§ 2.
Die Erscheinungen, die beobachtet werden können, hängen nicht
ab von der Bewegung eines einzelnen Moleküls, sondern nur von
gewissen Mittelwerthen; solche Mittelwerthe werden wir daher auf
zusuchen haben und unsere Betrachtungen werden eine gewisse
Aehnlichkeit besitzen mit denen der Statistik, in der es sich auch
immer um Mittelwerthe handelt, z. B. um die mittlere Lebensdauer
der Menschen überhaupt oder gewisser Menschenklassen, ln der
Statistik ist oft die Rede von der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses;
den Begriff der Wahrscheinlichkeit wollen wir auch hier einführen,
theils um den Ausdruck zu kürzen, theils um das Verstäudniss zu
erleichtern durch Anknüpfung au Vorstellungen, die, wenigstens theil-
weise, schon aus dem gewöhnlichen Leben bekannt sind; Im gewöhn
lichen Leben spricht man von der grösseren oder geringeren Wahr
scheinlichkeit eines Ereignisses, ohne diese durch eine Zahl anzugeben;
in der exacten Wissenschaft ist e'ine Wahrscheinlichkeit immer eine
Zahl, und zwar ein echter positiver Bruch, der um so mehr der Eins
sich nähert, je näher die Wahrscheinlichkeit der Gewissheit kommt,
und um so mehr der Null, je näher die Wahrscheinlichkeit der Uu-