88 Unendlich kleine Entfernungen.
verbleiben — doch so klein, als man nur will, genommen
werden, d. h. (wie man sich ausdrückt) in das Unendliche
abnehmen können. Solche veränderliche Größen also waren
es eigentlich, von denen galt, was man nur fälschlicherweise
von den unendlich kleinen Entfernungen aussagte.
Daß aber bei einer solchen Darstellung der Sache immer
doch viel Paradoxes, ja ganz Irriges vorgebracht und schein
bar erwiesen werden mußte, begreift sich von selbst. Wie
anstößig klang es z. B. schon, wenn man von jeder krum
men Linie und Fläche behauptete, daß sie nichts anderes
sei, als eine Zusammensetzung aus unendlich vielen geraden
Linien und ebenen Flächen, die nur unendlich klein, vor
ausgesetzt werden müßten, besonders wenn daneben wie
der unendlich kleine Linien und Flächen, die gleichwohl
krumm seien, zugestanden wurden. Wie sonderbar war es,
wenn man von Linien, welche in einem ihrer Punkte gar
keine Krümmung, sondern z. B. einen Wendepunkt haben,
behauptete, daß ihre Krümmung in diesem Punkte unend
lich klein, 'ihr Krümmungshalbmesser also unendlich groß
wäre; oder von Linien, die in einem ihrer Punkte in eine
Spitze auslaufen, daß ihre Krümmung hier unendlich groß,
ihr Krümmungshalbmesser unendlich klein wäre, u. dgl. m.
§ 46.
Als ein recht auffallendes und zugleich sehr einfaches
Beispiel, zu welchen Ungereimtheiten die Annahme solcher
unendlich kleinen Entfernungen Stoff und Veranlassung dar
bot, erlaube ich mir hier nur die Anführung eines Satzes,
den nach Kästners Berichte (Anfangsgründe der höheren
Analysis, Bd, II. Vorr) schon Galilei in s. Discorsi e dimo
strazioni matematiche etc., wohl nur in der Absicht, um das
Nachdenken zu wecken, aufgestellt hatte, nämlich, daß der
Umfang eines Kreises so groß als dessen Mittel -
punkt wäre.
Um eine Vorstellung von der Art, wie man dies dar
zutun suchte, zu erhalten, denke der Leser sich ein Qua-