Full text: Paradoxien des Unendlichen

Anmerkungen zu § 21. 
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kann wörtlich auch auf unendliche Mengen angewendet werden 
und liefert so zu jeder Menge ein Merkmal, das — wenn es sich 
um endliche Mengen handelt — sich auf den bekannten Begriff 
der Anzahl oder Kardinalzahl dieser Menge reduziert, und daher 
zweckmäßig ganz allgemein als die Kardinalzahl der betrachteten 
Menge bezeichnet werden kann*). Obwohl diese Bezeichnung 
heute in der Mengenlehre allgemein angenommen ist, wollen wir 
hier — um allen Wortstreitigkeiten aus dem Wege zu gehen — 
diesen Begriff lieber mit dem von G. Cantor herrührenden und 
auch heute noch durchaus üblichen Worte Mächtigkeit be 
zeichnen. Die Definition dieses Begriffes lautet also: „Mächtig 
keit einer Menge ist dasjenige ihrer Merkmale, das sie mit 
allen ihr äquivalenten Mengen gemein hat, und wodurch sie sich 
von allen ihr nicht äquivalenten Mengen unterscheidet.“ Äqui 
valente Mengen haben also dieselbe Mächtigkeit, nicht-äquivalente 
Mengen haben verschiedene Mächtigkeiten. 
Durch die Beispiele von § 20 nun zeigt B., daß eine unend 
liche Menge gleiche Mächtigkeit wie eine ihrer echten Teilmengen 
haben kann. Noch überraschendere Beispiele hierfür hat G. Cantor 
gefunden: z. B. daß die Menge aller rationalen Brüche gleiche 
Mächtigkeit hat, wie die Menge aller natürlichen Zahlen**), daß 
die Menge aller Punkte einer Ebene***), und ebenso die Menge 
aller Punkte des Raumes f) gleiche Mächtigkeit hat, wie die 
Menge aller Punkte einer Geraden usf. 
Daß zwei Mengen, von denen eine die andere als echte Teil 
menge enthält und somit nach B.s Terminologie größer ist als 
die andere hinsichtlich der Vielheit ihrer Teile, doch gleiche 
Mächtigkeit haben können, bedeutet natürlich keinerlei Wider 
spruch, ebensowenig wie etwa die Tatsache, daß zwei Menschen, 
von denen der eine größer ist als der andere, doch gleiches Ge 
wicht haben können. Insbesondere ist darin auch kein Wider 
spruch enthalten gegen das „Axiom“; das Ganze ist größer als 
der Teil. 
Nachdem wir festgestellt haben, wann zwei Mengen gleiche 
Mächtigkeit haben, bleibt noch festzustellen, was unter der Aus 
sage verstanden werden soll: die Menge M hat größere Mäch 
*) Alles, was von philosophischer Seite hiergegen cingewendet wurde, beruht 
wohl auf Mißverständnissen. 
**) Vgl. A. Fraenkel, Einl. i. d. Mengenlehre, S. 20. 
***) Vgl. A. Fraenkel a. a. O. S. 72. 
t) Vgl. A. Fraenkel a. a. O. S. 78.
	        
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