76 Paradoxien im Begriffe der Zeit.
meinte man, „müsse sie einen Anfang genommen haben,
auch wohl einst wieder ein Ende nehmen, mithin sich
ändern, demnach selbst wieder einer anderen Zeit bedürfen,
in der sie sich ändert. Noch ungereimter sei es, sie für
Gott selbst, oder für eine an ihm befindliche Adhärenz
zu erklären. Gewiß sei es auch, daß man die Zeit der
Ewigkeit entgegensetze; was nun sei diese? Wie sei es
möglich, daß eine unendliche Menge nicht nur von Augen
blicken, sondern von ganzen Zeitlängen enthalten sei
in einem einzigen auch noch so kurzen Weilchen, z. B. in
einem einzigen Blick mit dem Auge, von dem jeder ein
fache Zeitteil eben den Namen Augenblick hat? Doch
es ist in der Tat (sagte man zuletzt) gar keine Zeit vor
handen! Denn die vergangene Zeit ist eben, weil ver
gangen, offenbar nicht mehr da; die zukünftige aber ist,
weil erst künftig, jetzt noch nicht da: was endlich gegen
wärtig ist, das ist nichts anderes als ein bloßer Augen
blick in des Wortes strengstem Sinne, der keine Dauer,
somit auch keine Ansprüche auf den Namen einer Zeit
hat.“
Meinen Begriffen zufolge ist die Zeit allerdings nichts
Wirkliches im eigentlichen Sinne des Wortes, wo wir nur
den Substanzen und ihren Kräften Wirklichkeit bei
legen. Ich halte sie also auch weder für Gott selbst noch
für eine geschaffene Substanz, noch auch nur für eine
Adhärenz weder an Gott, noch an irgend einer geschaffenen
Substanz, oder an einem Inbegriffe mehrerer. Sie ist auch
eben darum gar nichts Veränderliches, sondern vielmehr
dasjenige, worin alle Veränderung vorgeht. Wenn man das
Gegenteil sagt, wie in dem Sprichwort: die Zeiten ändern
sich, so wurde längst schon erinnert, daß man hier unter der
Zeit nur die in ihr befindlichen Dinge und deren Zustände
verstehe. Die Zeit selbst ist, um es nun näher anzugeben,
diejenige an einer jeden (veränderlichen oder was ebenso
viel ist) abhängigen Substanz befindliche Bestimmung,
deren Vorstellung wir zu der Vorstellung dieser Substanz
hinzufügen müssen, um von je zwei einander widerspre-