Zur Theorie der Fiktionen
wert haben, die mit der Wirklichkeit sich in einem wesent
lichen Teil ihres Inhalts decken. Schließlich gibt er folgende
Definition: „Die Fiktion ist ein Vorstellungs-
gebilde, das zwar von der Wirklichkeit, die
es andeutet, abweicht, aber doch in einem
wesentlichen Teil seiner Bestimmungen sich
mit ihr deckt“ usw.
R. M allachow 191 ) meint, hinter jeder Fiktion verberge
sich ein wissenschaftlich mehr oder weniger ungelöstes Pro
blem. Da die Wissenschaft nach unbedingten, in sich geschlos
senen Wahrheiten strebe, liege das Unzulängliche des Ver
fahrens der Analyse einer Beobachtungsreihe mittels einer
Fiktion zutage.
O. Dittrich 192 ) entwickelt in ähnlicher Weise wie Vai-
hinger die Merkmale der „echten Fiktion“ und schreibt: „I. Es
findet dabei stets eine Abweichung von der bisherigen Wirk
lichkeit statt, jedoch nur zu dem Zwecke, sich einer künf
tigen geforderten Wirklichkeit mit minimal fehler
hafter oder völliger Korrektur bis zur Verwirklichung selbst
anzunähern. Die Fiktion führt also durch Abweichung und
Annäherung von Wirklichkeit zu Wirklichkeit.
II. In der Abweichung und deren Konsequenzen ist ein Wider
spruch mit der Wirklichkeit gegeben, der sich bis zum Selbst
widerspruch in der fiktiv-begrifflichen Auffassung dieser
Wirklichkeit steigert“ usw.
Dagegen hält W. Jerusalem 193 ) die Behauptung, die
Analogie, die allen Fiktionen zugrundeliege, stehe imWider-
spruch zur Wirklichkeit, für einen Irrtum. Darin
wird er bestärkt durch die sprachliche Form des „Als-Ob“;
diese Wendung bedeute nicht notwendig einen „modus irrea-
lis“, sondern gelegentlich auch einen „modus potentialis“.
Ganz wesentlich erscheint Vaihinger bei der Festlegung des
Fiktionsbegriffs, daß diese Gebilde in der Psyche mit dem
vollen Bewußtsein ihrer Fiktivität erzeugt wer
den. Immerhin finden sich in seinem Werke Stellen, die sich
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